Rn 2

Art 1 II zählt die vom Anwendungsbereich der VO ausgenommenen Bereiche auf, bei denen Ansprüche eine Rolle spielen könnten, die als solche aus außervertraglichen Schuldverhältnissen zu qualifizieren wären (aA – keine Anwendung von Art 1 II lit a–e bei Qualifikation als außervertragliches Schuldverhältnis iSd Verordnung – Hohloch IPRax 12, 110, 113); auch hier ist eine autonome Qualifikation maßgeblich (s nur Hohloch IPRax 12, 110, 112). Die Ausnahmen sind im Interesse einer möglichst weitgehenden Kollisionsrechtsvereinheitlichung eng auszulegen (s.a. KOM [03] 427 10).

 

Rn 3

Nach Art 1 II lit a, b gilt die VO nicht für eine Reihe familien- und erbrechtlicher Sachverhalte. Dies betrifft außervertragliche Schuldverhältnisse einschließlich güterrechtlicher Streitigkeiten aus Familienverhältnissen (konkretisiert in Erw 10; s dazu insb ROM III-VO, ABl 10, L 343/10; EuUntVO, ABl 09, L 7/1; EuGüVO, ABl 16, L 183/1, EuPartVO, ABl 16, L 183/30) oder Verhältnissen mit vergleichbaren Wirkungen (dieser Begriff ist gem Erw 10 ausnw nach der lex fori auszulegen und umfasst in Deutschland zB Lebenspartnerschaft, nicht aber Verlöbnis oder nichteheliche Lebensgemeinschaft, BeckOK/Spickhoff Art 1 Rz 13; zum Verlöbnis auch Hohloch IPRax 12, 110, 116) einschließlich der Unterhaltspflichten (für diese gelten die Haager Unterhaltsübereinkommen, BGBl 61 II 1013; 86 II 837, bzw Art 15 EuUntVO iVm Art 3 ff HaagUntProt, ABl 09, L 331/19). Auch außervertragliche Ansprüche aus Testamenten und Erbrecht werden ausgeklammert, s dazu die EuErbVO (ABl 12, L 201/107). Die Ausnahmen beziehen sich jedoch nur auf die im Familien- bzw Erbrecht wurzelnden bzw durch die Sonderregeln dieser Rechtsgebiete geprägten Ansprüche, nicht auf genuine Ansprüche aus Delikt, Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag oder culpa in contrahendo zwischen Familienangehörigen (s.a. Hohloch YbPrIntL 07, 1, 16; Grüneberg/Thorn Art 1 Rz 10).

 

Rn 4

Art 1 II lit c nimmt – parallel zu Art 1 II lit d ROM I – außervertragliche Schuldverhältnisse aus handelbaren Wertpapieren vom Anwendungsbereich der VO aus; hier gelten insb die in §§ 91 ff WG, 60 ff ScheckG umgesetzten Genfer Abkommen zum Wechsel- und Scheckrecht (RGBl 33 II 444; 594). Diese Ausnahme erstreckt sich allerdings nicht auf die Prospekthaftung (dazu insb v Hein FS Hopt 371, 379 ff; Hohloch IPRax 12, 110, 117; Huber/Bach Art 1 Rz 42; Einsele ZEuP 12, 23, 28 mwN; Denninger Grenzüberschreitende Prospekthaftung und Internationales Privatrecht 15, 146 ff; Keßenich Berücksichtigung statutsfremder Sicherheits- und Verhaltensregeln. Die Anwendung des Art 17 Rom II-VO am Beispiel grenzüberschreitender Prospekthaftung 20, 162 ff; ähnl Thomale NZG 20, 328, 331 f), s.a. Rn 5, und ebenso wenig auf die Haftung nach Art 35a der EU-Ratingverordnung (VO [EG] 1060/2009, ABl 09, L 302/1, zuletzt geändert durch VO [EU] 462/2013, ABl 13 L 146/1; dazu insb Dutta WM 13, 1729, 1731; Mehrmann Art 35a Rating-VO und das Internationale Privatrecht 21, 97 f).

 

Rn 5

Weiterhin gilt die VO nach Art 1 II lit d – weitgehend parallel zu Art 1 II lit f ROM I – nicht für außervertragliche Schuldverhältnisse, die sich aus dem Gesellschaftsrecht, Vereinsrecht und Recht der juristischen Personen ergeben. Hier geht es in erster Linie um organisatorische Aspekte (EuGH ZIP 22, 646 = ECLI:EU:C:2022:173 Rz 52 mwN; BGH ZIP 22, 1518 Rz 11), aber es verbleiben Qualifikationsfragen in Randbereichen, va bei der Reichweite der Ausnahme für die persönliche Haftung der Gesellschafter und Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft (nicht als organisatorische Aspekte angesehen jetzt vom EuGH ZIP 22, 646 = ECLI:EU:C:2022:173 Rz 53). Die Ausnahme in Art II lit d zielt auf die nach dem Gesellschaftsstatut zu beurteilende Haftungsverfassung der Gesellschaft ab (zur Außenhaftung bei Lierferketten- und Klimahaftung Mansel/Kuhl FS v Bar 251, 264 ff). Ob sie aber auch auf Rechtsgrundlagen außerhalb des Gesellschaftsrechts beruhende Ansprüche, wie zB aus § 823 II oder § 826 BGB, erfasst, ist zweifelhaft (so jetzt auch EuGH ZIP 22, 646 = ECLI:EU:C:2022:173 Rz 55, der zwischen spezifischen Sorgfaltspflichten, die sich aus der Organstellung ergeben, und allgemein geltenden Sorgfaltspflichten differenzieren will). Sofern die Haftung aber an aus dem Gesellschaftsrecht stammende Schutzgesetze anknüpft, wie diejenige aus § 823 II BGB, sollte zur Wahrung des gesellschaftsrechtlichen Charakters das Gesellschaftsstatut maßgeblich sein. Ob Entsprechendes auch für andere Ausprägungen einer gesellschaftsrechtlich überformten Deliktshaftung, etwa bei der Haftung der Muttergesellschaft für Tochtergesellschaften im Konzern, gelten sollte, um die Spezifika des Gesellschaftsstatuts zu wahren (dazu insb Schall ZGR 18, 497, 510 sowie die Vorauflagen), erscheint zweifelhaft (dazu m überzeugenden Argumenten Blach Konzerndeliktsrecht 22, 87 ff). Dagegen wird die Prospekthaftung zu Recht vielfach als deliktsrechtlich qualifiziert (s nur Weber WM 08, 1581, 1584 f; Tschäpe/Kramer/Glück RIW 0...

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