Gesetzestext

 

(1) 1Diese Verordnung gilt für außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. 2Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (›acta iure imperii‹).

(2) Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind

a) außervertragliche Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis oder aus Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht vergleichbare Wirkungen entfalten, einschließlich der Unterhaltspflichten;
b) außervertragliche Schuldverhältnisse aus ehelichen Güterständen, aus Güterständen aufgrund von Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten, und aus Testamenten und Erbrecht;
c) außervertragliche Schuldverhältnisse aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren, sofern die Verpflichtungen aus diesen anderen Wertpapieren aus deren Handelbarkeit entstehen;
d) außervertragliche Schuldverhältnisse, die sich aus dem Gesellschaftsrecht, dem Vereinsrecht und dem Recht der juristischen Personen ergeben, wie die Errichtung durch Eintragung oder auf andere Weise, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Verfassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen, die persönliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person sowie die persönliche Haftung der Rechnungsprüfer gegenüber einer Gesellschaft oder ihren Gesellschaftern bei der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen;
e) außervertragliche Schuldverhältnisse aus den Beziehungen zwischen den Verfügenden, den Treuhändern und den Begünstigten eines durch Rechtsgeschäft errichteten ›Trusts‹;
f) außervertragliche Schuldverhältnisse, die sich aus Schäden durch Kernenergie ergeben;
g) außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Verleumdung.

(3) Diese Verordnung gilt unbeschadet der Artikel 21 und 22 nicht für den Beweis und das Verfahren.

(4) Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff ›Mitgliedstaat‹ jeden Mitgliedstaat mit Ausnahme Dänemarks.

A. Sachlicher Anwendungsbereich.

I. Grundregel.

 

Rn 1

Die VO gilt – vorbehaltlich der Ausnahmen in Abs 2 – für außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, Art 1 I. Der Begriff des außervertraglichen Schuldverhältnisses wird in Art 2 konkretisiert. Zivil- und Handelssachen werden nicht definiert; eine Konkretisierung lässt sich aus der Verwendung derselben Begriffe in Art 1 I Brüssel Ia-VO sowie aus der Negativabgrenzung zur Ausübung hoheitlicher Rechte ableiten (aA NK-BGB/Knöfel Art 1 Rz 17: Anlehnung an Art 6 I EMRK). Danach sind Zivil- und Handelssachen Streitigkeiten nicht öffentlich-rechtlicher Art (die Abgrenzung hat autonom zu erfolgen, s nur EuGH NJW 77, 489, 490; IPRax 81, 169, 173), unabhängig von der Art der Gerichtsbarkeit (Erw 8; für eine Einbeziehung von Schiedsgerichten G Wagner IPRax 08, 1, 3). Keine Zivil- oder Handelssachen sind insb die in Art 1 I 2 genannten Streitigkeiten, also Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen iRd Ausübung hoheitlicher Rechte (›acta iure imperii‹, BGH NJW 11, 3584 [BGH 19.07.2011 - VI ZR 217/10] Rz 10). Entscheidend ist, ob der konkrete Anspruch aufgrund der Ausübung hoheitlicher Befugnisse entstanden ist (Leible/Lehmann RIW 07, 721, 722 mN; Vogeler VersR 11, 588, 595; jurisPK/Lund Art 1 Rz 27). Die Staatshaftung umfasst auch die persönliche Haftung von Staatsbediensteten sowie die Haftung für Handlungen öffentlicher Stellen (Erw 9), was insb bei Schadensersatzklagen wegen Kriegsverbrechen wichtig ist (s zB v Hein VersR 07, 440, 442; Leible/Lehmann RIW 07, 721, 722; G Wagner IPRax 08, 1, 2). Die Verbindung zum Recht verschiedener Staaten ist weit zu verstehen; auch ein Drittstaatenbezug reicht aus (s.a. Art 3). Nicht gegeben ist eine solche Verbindung, wenn von vornherein materielles Einheitsrecht, das in den beteiligten Mitgliedstaaten gilt, zur Anwendung kommt, so dass sich in diesen Fällen die Frage einer Heranziehung von Art 28 I nicht stellt (s insb Basedow RabelsZ 10, 118, 127 f).

II. Ausnahmen.

 

Rn 2

Art 1 II zählt die vom Anwendungsbereich der VO ausgenommenen Bereiche auf, bei denen Ansprüche eine Rolle spielen könnten, die als solche aus außervertraglichen Schuldverhältnissen zu qualifizieren wären (aA – keine Anwendung von Art 1 II lit a–e bei Qualifikation als außervertragliches Schuldverhältnis iSd Verordnung – Hohloch IPRax 12, 110, 113); auch hier ist eine autonome Qualifikation maßgeblich (s nur Hohloch IPRax 12, 110, 112). Die Ausnahmen sind im Interesse einer möglichst weitgehenden Kollisionsrechtsvereinheitlichung eng auszulegen (s.a. KOM [03] 427 10).

 

Rn 3

Nach Art...

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