Rn 52

Als Sonderfall des Schadensersatzes statt der Leistung kennt das Gesetz in §§ 281 I 2 u 3, V, 283 2 und richtigerweise in § 282 den Schadensersatz statt der ganzen Leistung. Um einen solchen Schadensersatz geht es immer dann, wenn der verlangte Schadensersatz über das Maß der Pflichtverletzung hinaus auf das Schuldverhältnis ausgreift (s Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 631). Die mit den zusätzlichen Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung verbundene Sachfrage ist also, inwieweit auch solche Teile des Schuldverhältnisses, die von der Pflichtverletzung nicht unmittelbar betroffen sind, durch diese ›kontaminiert‹ werden. Da auf diese Weise hinsichtlich der weiteren Teile Schadensersatz anstelle der Erfüllung in Natur verlangt wird, müssen außerdem jedoch immer die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung erfüllt sein.

 

Rn 53

Vielfach wird der Schadensersatz statt der ganzen Leistung im Ergebnis einer Kombination aus Rücktritt oder Kündigung und Schadensersatz gleichkommen (s § 281 Rn 31, 35). Das zeigt nicht zuletzt die in § 281 V niedergelegte Rechtsfolge, dass der Gläubiger seinerseits zur Rückabwicklung nach Rücktrittsregeln verpflichtet ist. Allerdings muss sich diese Funktionsäquivalenz nicht in jedem Fall ergeben: Denkbar ist auch, dass der geltend gemachte Schadensersatz zwar über das Maß der Pflichtverletzung hinausgreift, jedoch gleichwohl unterhalb der Schwelle der Aufhebung des gesamten Vertrags bleibt – mit dem Ergebnis einer (funktionalen) Teilaufhebung. Hat etwa ein Käufer für seinen Fuhrpark zehn PKW gleicher Bauart erworben und ist einer mangelhaft, ist Schadensersatz statt der ganzen Leistung sowohl die Abrechnung des Vertrags hinsichtlich aller zehn PKW, als auch hinsichtlich des einen mangelhaften. Die verbreitete Gleichsetzung des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung mit dem herkömmlichen ›großen Schadensersatz‹ ist daher irreführend.

 

Rn 54

Mit dem Schadensersatz statt der ganzen Leistung hat das Gesetz klargestellt, dass der Gläubiger seinen Schaden sowohl nach der Surrogations- als auch nach der Differenzmethode berechnen kann, wenn die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung vorliegen. Dh er kann seine eigene Leistung erbringen und das gesamte Erfüllungsinteresse statt der Schuldnerleistung verlangen oder seine Leistung behalten und ihren Wert von seinem Schaden statt der Leistung abziehen. Auch wenn er schon geleistet hat, kann er wählen, ob er seine erbrachte Leistung zurückverlangt (§§ 281 V, 346) und ihren Wert bei Berechnung seines Erfüllungsinteresses abzieht, oder ob er sie dem Schuldner belässt und den vollen Schaden statt der Leistung des Schuldners verlangt.

 

Rn 55

In der Literatur wird für den Schadensersatz bei derartigen Teilstörungen häufig mit dem Begriffspaar ›großer‹ und ›kleiner‹ Schadensersatz gearbeitet (s Lorenz/Riehm Rz 216 ff). Diese Begrifflichkeit entstammt dem alten Schuldrecht (etwa BGHZ 108, 156, 159 f) und hatte ihren Ursprung in dem – erfolgreichen – Bemühen, die strikte Alternativität von Rücktritt und Schadensersatz in §§ 325, 326 im Wege der Schadensberechnung zu überwinden: Der große Schadensersatz schloss die Rückabwicklung und damit funktional den Rücktritt mit ein. Unter dem neuen Schuldrecht beschwört die fortgesetzte Verwendung dieser Begrifflichkeiten die Gefahr von Missverständnissen hinauf. Es erscheint daher angezeigt, sich auf die gesetzliche Terminologie zu beschränken.

 

Rn 56

Die Voraussetzungen der Ersatzfähigkeit unterscheiden sich je nachdem, wie das mögliche Ausgreifen der begrenzten Pflichtverletzung auf andere Vertragsteile erfolgen kann: Der in § 281 I 2 geregelte Grundfall ist die partielle oder Teilstörung des Schuldverhältnisses (s § 281 Rn 28). Zu deren Anwendungsfällen zählt auch die in die Schadensabrechnung integrierte Kündigung (s § 281 Rn 31); insoweit wird der Vertrag nicht beeinträchtigt. Als ersten Sonderfall regelt § 281 I 3 für die ›Leistung nicht wie geschuldet[e]‹ eine erheblich geringere Schwelle des Ausgreifens auf weitere Vertragsteile oder den gesamten Vertrag (s § 281 Rn 32, 33). Ebenfalls einen Sonderfall des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung regelt – trotz seiner irreführenden Terminologie – § 282 Rn 1. Abweichende Regeln greifen schließlich für den neben Rücktritt und Kündigung geltend gemachten Schadensersatz (s § 281 Rn 35).

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