1. Ausgangspunkt.

 

Rn 67

Im Gegensatz zur Adäquanztheorie (s.o. Rn 52) will die Schutzbereichslehre Schäden nicht deshalb vom Ersatz ausschließen, weil der Eintritt ganz unwahrscheinlich war. Vielmehr geht es dieser Lehre um den Zweck der den Ersatzanspruch begründenden Norm: Ersetzt werden sollen nur die Schäden, deren Verhinderung die Norm bezweckt. Damit können auch einigermaßen wahrscheinliche Schäden ausgeschlossen werden wie in BGH NJW 81, 1606 [BGH 17.03.1981 - VI ZR 286/78]: Vorgeschrieben (und unterlassen) war ein Hinweis auf die Gefahren aus der Anwendung eines Pflanzenschutzmittels; nicht gehaftet wird für dessen Wirkungslosigkeit. Ähnlich LG Hagen, Beschl v 15.10.13 – 1 S 139/13: eine verkehrsunfallbedingt verzögerte Weiterfahrt eines Traktors vereitelte die rechtzeitige Heuernte; diese wurde durch ein Unwetter beschädigt. Das beruhe nicht mehr kausal auf dem Verkehrsverstoß.

 

Rn 68

Eine gesetzliche Beschränkung des Schutzzwecks ist in den §§ 823 II, 839 I 1 ausdrücklich vorgesehen; in anderen Normen lässt sie sich durch Auslegung ermitteln (zB §§ 989, 990: Nach BGH NJW 90, 909 [BGH 10.10.1989 - XI ZR 130/88] umfassen diese Vorschriften nicht den Vorenthaltungsschaden, sondern nur den Schaden aus Vereitelung der Herausgabe, s § 989 Rn 7). Auch bei Verträgen kann die Auslegung einen beschränkten Schutzbereich ergeben, ebenso wie umgekehrt eine Erweiterung auf Dritte (Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, vgl Vor § 328 Rn 2 ff). Zum Schutzbereich eines Sperrvertrages mit einer Spielbank BGHZ 165, 276.

2. Gesetzliche Pflichten.

 

Rn 69

Bei § 823 II geht es häufig schon um die Eignung eines Schutzgesetzes als Anspruchsgrundlage überhaupt. So dient nach BGH NJW 04, 356, 357 [BGH 18.11.2003 - VI ZR 385/02] (mwN) ein Halteverbot nach § 12 StVO in erster Linie der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Zwar kann es zB auch Fußgänger schützen sollen, wenn es die Sichtverhältnisse an einem Fußgängerüberweg verbessert (vgl BGH NJW 83, 1326 [BGH 25.01.1983 - VI ZR 212/80]). Dagegen dient es nicht den Vermögensinteressen eines Bauunternehmers, der durch einen verbotswidrig geparkten Wagen am Erreichen seiner Baustelle gehindert wird.

 

Rn 70

Auch bei § 839 geht es bei der Erörterung des Schutzzwecks der verletzten Amtspflicht häufig schon um die Anspruchsgrundlage. So verhält es sich etwa bei der umfangreichen Rspr zur Überplanung von Altlasten. Dabei handelt es sich um pflichtwidrige Bebauungspläne für Grundstücke, die wegen ihrer Altlasten die Gesundheit gefährden. Im Schutzbereich sollen die Vermögensinteressen derjenigen Personen liegen, die solche Grundstücke erworben oder bebaut haben. Nicht geschützt werden dagegen die Eigentümer angrenzender Grundstücke (BGHZ 109, 380, 390) oder diejenigen, deren Grundstücke bebaubar, aber im Wert gemindert sind (BGHZ 121, 65, 68 f).

 

Rn 71

Bei § 823 I liegen die Dinge komplizierter. Hier geht es nach dem Wortlaut um den Eintritt einer Verletzung an bestimmten Rechtsgütern oder Rechten. Eine Beschränkung des Normzwecks lässt sich allein hieraus nicht begründen. Doch wird bei sog mittelbaren Verletzungen auf den Verstoß gegen Verkehrspflichten abgestellt (vgl § 823 Rn 106 ff). Diese Pflichten können durchaus einen beschränkten Schutzzweck haben. So soll nach einem Schulbeispiel die zahlenmäßige Beschränkung der für einen Autobus zugelassenen Fahrgäste diese vor der Gefährdung an Körper und Gesundheit, aber nicht auch vor (durch das Gedränge begünstigten) Taschendieben schützen.

 

Rn 72

In der Rspr viel behandelt worden ist der Schutzbereich von Sicherungspflichten etwa auf Baustellen (BGH BB 56, 771), in einem Internat (BGH NJW 80, 1745 [BGH 11.03.1980 - VI ZR 66/79]) oder ggü Unbefugten, insb ggü Kindern (BGH NJW-RR 89, 219 [BGH 18.10.1988 - VI ZR 94/88], Badesee) und BGH NJW 95, 2631 (Eisenbahnwagen unter Oberleitung).

3. Vertragliche Pflichten.

 

Rn 73

Eine mehrfach behandelte Fallgruppe ergibt sich im Arzthaftungsrecht, insb wegen einer ungewollten Schwangerschaft. So hat BGHZ 143, 389, 394 ff einen Ersatzanspruch verneint, wenn bei einem Behandlungsvertrag eine Schwangerschaft der Patientin schuldhaft nicht erkannt worden ist: Der Vertrag habe nur der Heilung gedient und nicht die Vermögenslasten aus der Geburt eines Kindes verhindern sollen. Ebenso soll kein Anspruch bestehen, wenn ein zum Schutz der Mutter vorgenommener Eingriff misslingt (BGH NJW 85, 2749 [BGH 25.06.1985 - VI ZR 270/83]). Weiter kann kein Unterhaltsersatz verlangt werden, wenn die soziale Notlage behoben wird, derentwegen der Abbruch vergeblich versucht worden ist (BGH NJW 92, 1556 [BGH 25.02.1992 - VI ZR 44/91]). Bei einer misslungenen Sterilisation nimmt der BGH (NJW 81, 630, 632 [BGH 02.12.1980 - VI ZR 175/78]; 95, 2407 [BGH 27.06.1995 - VI ZR 32/94]) freilich an, der Vertrag diene zumindest auch der Vermeidung von Unterhaltslasten (so allg fraglich).

 

Rn 74

Auch bei der Auskunftshaftung ist der Schutzbereich des Vertrages von Bedeutung: Wenn eine Sparkasse falsch über die Fortdauer der Sozialbindung von Wohnraum informiert, haftet sie nicht für Schäden des Käufers aus Mängeln...

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