Rn 13

Regelungslücken in letztwilligen Verfügungen können durch ergänzende Auslegung geschlossen werden, wenn feststeht, dass es sich, gemessen an den Vorstellungen des Erblassers (oder der Ehe-/Vertragspartner bei zweiseitigen Verfügungen, KG OLGZ 66, 506; BGH FamRZ 83, 380), um eine planwidrige, ungewollte (BayObLG FamRZ 00, 119) Lücke handelt. Eine derartige Lücke kann bereits bei Errichtung der Verfügung vorhanden sein (BGH NJW 78, 152 [BVerfG 19.10.1977 - 2 BvR 462/77]; BayObLG NJW-RR 97, 1438 [BayObLG 27.06.1997 - 1 Z BR 240/96]), weil der Erblasser die Verhältnisse zur Zeit der Errichtung seiner Verfügung falsch beurteilt hat oder eine Verfügung – etwa eine Bedingung – unwirksam ist (Stuttg FGPrax 05, 221 [OLG Stuttgart 21.04.2005 - 8 W 10/05]); die Auslegung hilft aber nur dann, wenn die Verfügung nicht bereits nach § 2065 unwirksam ist.

 

Rn 14

Eine Lücke kann aber auch durch tatsächliche oder rechtliche Änderungen nach Errichtung der Verfügung entstehen, die der Erblasser nicht bedacht hat (BayObLG FamRZ 97, 509), insb wenn der Erblasser auf ihren Eintritt keinen Einfluss hat, auch nach Eintritt des Erbfalls (BGH NJW 63, 1150; BayObLGZ 88, 165). So kann sich, etwa durch Veränderung des ehelichen Güterrechts oder den Beitritt der neuen Bundesländer, die Rechtslage verändert haben (dazu Frankf FamRZ 93, 857; Köln FamRZ 94, 591; BayObLG ZEV 94, 47). Eine Bedingung kann unerfüllbar werden (Bambg NJW-RR 2008, 1325). Die Geldentwertung kann dazu führen, dass der mit einem Geldvermächtnis erstrebte Zweck nicht mehr erreicht wird (RGZ 108, 83). Ein erheblicher Vermögenszuwachs oder Vermögensverlust beim Erblasser, eine Wertveränderung einzelner Gegenstände oder eine erhebliche Veränderung der Vermögensstruktur des Erblassers nach Errichtung der Verfügung kann den Regelungsplan des Erblassers durchkreuzen (BGH NJW-RR 17, 1035 [BGH 05.07.2017 - IV ZB 6/17]). Allein das Fortbestehenlassen einer Lücke trotz Kenntniserlangung davon nach Errichtung der Verfügung spricht noch nicht für eine gewollte Lücke.

 

Rn 15

Man schließt die Lücken durch Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens (bzw des gemeinsamen Willens der Ehe-/Vertragspartner) zur Zeit der Errichtung der Verfügung. Dabei ist der tatsächliche Wille des Erblassers ›zu Ende zu denken‹, also zu erforschen, was der Erblasser geregelt hätte, wenn er von der ergänzungsbedürftigen Lücke gewusst hätte (BayObLG FamRZ 91, 865). Abzustellen ist allein auf den Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung (BayObLG FamRZ 00, 1394). So kann bei Einsetzung eines Vereins, der insolvent wird, der nunmehrige Träger von dessen Aufgabe begünstigt sein, auch wenn keine Ersatzerbschaft angeordnet werden sollte (Ddorf ZEV 17, 147). Der hypothetische Erblasserwille kann nur in dem Umfang berücksichtigt werden, in dem er seine Grundlage in dem vom Erblasser tatsächlich geäußerten Willen hat (RGZ 99, 82; BGHZ 22, 357; FamRZ 83, 380). Darauf, was nach objektiven Umständen geboten gewesen wäre, kommt es nicht an.

 

Rn 16

Die ergänzende Auslegung ist darauf beschränkt, eine getroffene Verfügung zu verändern oder weiterzuentwickeln, sie kann nicht ganz neue Verfügungen erzeugen, auch wenn ein entspr Anhaltspunkt im Willen des Erblassers vorhanden ist. Das wäre etwa dann der Fall, wenn der Erblasser eine Person nur deshalb zum Erben einsetzt, weil diese ihm das Leben gerettet habe, in Wahrheit aber eine andere Person der Lebensretter war. Dann kann die Verfügung zugunsten des vermeintlichen Retters im Wege der Auslegung nicht beseitigt und eine inhaltsgleiche Verfügung zugunsten des tatsächlichen Retters begründet werden, sondern es bedarf der Anfechtung wegen Motivirrtums nach § 2078.

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