Rn 17

Neben der Kenntnis reicht die grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners aus, um die Verjährung beginnen zu lassen. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus (BGH 25.10.18 – III ZR 122/17). Das ist im Einzelfall aufgrund einer Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Umstände zu beurteilen (BGH 20.7.17 – III ZR 296/15 Rz 25; 20.5.15 – IV ZR 127/14 Rz 29). Dabei ist das Interesse eines Gläubigers bei der Beurteilung als Maßstab heranzuziehen (BGH NJW 15, 1948 Rz 32). Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH 13.1.15 – XI ZR 303/12 Rz 29, 38; zum VW-Dieselskandal BGH NJW 22, 2028 [BGH 09.05.2022 - VIa ZR 441/21] Rz 14; 22, 3284 Rz 12; NJW-RR 22, 740 Rz 36). Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung (›Verschulden gegen sich selbst‹) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat (BGH NJW 22, 238 Rz 38; BGH 20.7.17 – III ZR 296/15 Rz 24; 17.6.16 – V ZR 134/15 Rz 15; NJW 15, 2956 [BGH 02.07.2015 - III ZR 149/14] Rz 11). Hierbei trifft den Gläubiger generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist intensive Nachforschungen zu betreiben (BGH NJW-RR 22, 740 [OLG Düsseldorf 15.02.2022 - 23 U 153/20] Rz 41; BGH NJW 96, 2933 [BGH 09.07.1996 - VI ZR 5/95]: zu langwidrigen Telefonaten; 21.7.16 – I ZR 259/14 Rz 82: zum Internetauftritt oder Veröffentlichungen in der Fachpresse). Er muss nicht von vornherein Ansprüchen nachspüren, weil andernfalls der Verlust der Durchsetzungsmöglichkeit allein durch Zeitablauf droht (BGH NJW 15, 1948 Rz 29); für ihn müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären und das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falls aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Geschädigten als geradezu unverständlich erscheint (BGH NJW 12, 1789 Rz 17 f), zB weil auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursachen, nicht ausgenutzt wurden (BGH NJW 22, 238 Rz 38) oder Indizien nicht nachgegangen wurde, obgleich sich aufdrängte, dass damit Kenntnis erlangt hätte werden können (BGH NJW 89, 2323 [BGH 16.05.1989 - VI ZR 251/88]; 90, 2808). Dies liegt vor, wenn ein Gläubiger aufgrund unzureichender Organisation nicht für eine strukturell ausreichende zeitnahe Erfassung von Forderungen Sorge trägt, ein- und ausgehende Beträge nicht kontrolliert, keine sorgfältige Kontrolle von Buchungsunterlagen durchführt, iÜ erkennbar notwendige Organisationsanweisungen unterlässt oder nicht entgegenwirkt, dass vorhandene Organisationsanweisungen missachtet werden (BGH NJW 12, 2644 [BGH 17.04.2012 - VI ZR 108/11] Rz 22). Ist dem Verletzen das Kfz-Kennzeichen des Schädigers bekannt, muss er Ermittlungen zu dessen Identität anstellen. Fehlen Indizien, besteht keine weitere Ermittlungspflicht, bspw allein aufgrund des negativen Ausgangs einer ärztlichen Behandlung (BGH NJW 12, 1789 [BGH 28.02.2012 - VI ZR 9/11] Rz 21; NJW-RR 10, 681 [BGH 10.11.2009 - VI ZR 247/08] Rz 6 ff): Der Patient braucht nicht die Krankenhausunterlagen zu durchsuchen (BGH NJW 20, 2534 [BGH 26.05.2020 - VI ZR 186/17] Rz 29), gegen den Schädiger laufende Strafverfahren verfolgen oder nach deren Ende Akteneinsicht nehmen (BGH NJW-RR 90, 606, 607 [BGH 06.02.1990 - VI ZR 75/89]). Vielmehr muss ihm aus seiner Laiensicht der Stellenwert des ärztlichen Vorgehens für den Behandlungserfolg bewusst sein (BGH NJW 14, 993 Rz 10). Weiß der Patient aber, dass ihm ein Schaden im Krankenhaus entstanden ist, muss er sich um die Identität des zuständigen Arztes bemühen. Ein Anleger muss nicht einen Anlageprospekt durchsehen und auswerten (BGH NJW-RR 12, 111 [BGH 22.09.2011 - III ZR 186/10] Rz 10 f) oder von sich aus zB über Rückvergütungen nachfragen (BGH 15.3.16 – XI ZR 122/14 Rz 36), ein Mandant nicht den RA (BGH NJW 14, 993 [BGH 06.02.2014 - IX ZR 245/12] Rz 17; 1800 Rz 9) oder Steuerberater (BGH 25.10.18 – IX ZR 168/17 Rz 9 f) oder Notar kontrollieren (BGH 11.9.14 – III ZR 217/13 Rz 20). Für die Ingangsetzung der Verjährungsfrist ist aber grds allein eine die Anspruchsvoraussetzungen umfassende Tatsachen-, keine Rechtskenntnis des Geschädigten erforderlich (BGH ZIP 19, 2356 Rz 14 ff). Anderes kann gelten, wenn bei dem Gläubiger durch eine objektiv unzutreffende Belehrung des Schuldners eine Fehlvorstellung über dessen Pflichtenumf...

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