Rn 11

Eine Tätigkeit ist immer unzumutbar, wenn derjenige, der sie ausübt, unterhaltsrechtlich nicht gehindert ist, sie jederzeit wieder zu beenden (BGH FamRZ 13, 1558; 01, 350; Stuttg FamRZ 07, 400). Dies gilt für den Unterhaltsschuldner wie für den Unterhaltsgläubiger gleichermaßen. Übt der Gläubiger eine unzumutbare Tätigkeit aus, bleibt er bedürftig, wenn das erzielte und nur nach § 1577 II anrechenbare Einkommen seinen Unterhaltsbedarf nicht deckt. Einkünfte aus unzumutbarer Erwerbsquelle bleiben nur ausnahmsweise völlig unangetastet. Nach § 1577 II 2 sind sie in begrenztem Umfang regelmäßig auch zur Entlastung des Unterhaltsschuldners heranzuziehen (BGH FamRZ 95, 343). Die Grenze zumutbarer Tätigkeit ist nicht statisch. Sie kann sich durch veränderte Umstände und Belastungen (Heranwachsen der Kinder, spätere Übernahme von Betreuungsaufgaben; Kobl FamRZ 99, 1275), gesundheitliche Beeinträchtigungen, Alter etc verschieben. Im Mangelfall gelten bei der Zumutbarkeitsprüfung erhöhte Anforderungen (BGH NJW 99, 2365, 2804 [BGH 17.03.1999 - XII ZR 139/97]; zu Einzelheiten vgl § 1581 Rn 10). Geboten ist eine umfassende Prüfung der Umstände des Einzelfalls (BGH FamRZ 05, 1442).

 

Rn 12

Der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift liegt bei der Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit über das Rentenalter hinaus, der Ausübung einer nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht angemessenen Tätigkeit und insb bei einer neben der Kindesbetreuung fortgesetzten oder nach der Trennung ohne eine entspr Obliegenheit aufgenommenen Erwerbstätigkeit. Das tradierte Altersphasenmodell gilt nicht mehr (vgl § 1570 Rn 7 ff). Tendenziell setzen Erwerbsobliegenheiten bei Kindesbetreuung deutlich früher ein. Ein maßgebendes Indiz für eine vorhandene tatsächliche Arbeitsfähigkeit und die Abgrenzung obligatorischer von überobligatorischen Einkünften bei Kindesbetreuung kann die freiwillige Ausübung einer Berufstätigkeit sein (BGH FamRZ 06, 846; 05, 442) bzw die Beibehaltung einer Tätigkeit nach Trennung (BGH FamRZ 95, 343; Ddorf FamRZ 10, 39). Wichtiges Abwägungskriterium sind weiter die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien (BGH FamRZ 13, 191; 11, 454), insb auch weitere Unterhaltspflichten (Saarbr NJW-RR 06, 869), aber auch anrechungsfreies Einkommen des Unterhaltsschuldners (Hambg FamRZ 05, 927). Beengte wirtschaftliche Verhältnisse sprechen für eine weitergehende Zumutbarkeit bei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (BGH FamRZ 83, 569). Insb bestehende Kreditverpflichtungen belegen, dass der gewählte Lebenszuschnitt nicht aus dem Einkommen (nur) eines Ehegatten bestritten werden konnte. Eine nach Trennung geänderte Rollenverteilung führt bei Fortsetzung bisheriger Arbeit nicht dazu, dass diese Erwerbstätigkeit nunmehr regelmäßig als unzumutbar anzusehen ist (Hamm FamRZ 04, 375). Die Beurteilung der Vereinbarkeit von Kindererziehung und Berufstätigkeit hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist eine Einzelfallbetrachtung (BGH FamRZ 08, 1739; 05, 1442) geboten. Die durch die Betreuung vorhandene konkrete Belastungssituation des Berechtigten (Anzahl der Kinder, Möglichkeiten der Drittbetreuung, Tagesmutter, Kinderhort etc), gesundheitliche Beeinträchtigungen des oder der Kinder, Entlastung bei neuer Partnerschaft etc stehen im Vordergrund stehen (BGH FamRZ 08, 1739; 05, 442). Auch ist maßgebend, wie die Kindesbetreuung mit den konkreten Arbeitszeiten unter Berücksichtigung erforderlicher Fahrzeiten vereinbar ist, zu welchen Zeiten die Kinder einen Kindergarten oder die Schule besuchen können bzw der (Fremd-)Betreuung bedürfen (BGH FamRZ 01, 350; zur geänderten Rechtslage nach der Neufassung der §§ 1569, 1570 im UÄndG ab 1.1.08 vgl insb Kommentierung zu § 1569 und § 1570 Rn 6 ff). Pauschale Kürzungen, etwa auf 1/3 des Erwerbseinkommens oder auf die Hälfte (vom BGH in FamRZ 05, 967 bei einem Elternteil gebilligt, der zwei Kinder im Alter von sechs und zehn Jahren betreut), werden jedenfalls nach Inkrafttreten des UÄndG zum 1.1.08 nicht mehr vorgenommen werden können. Der pauschale Abzug eines Betreuungsbonus (BGH FamRZ 17, 711; 10, 1050) kommt nicht in Betracht. Einer überobligatorischen Belastung des betreuenden Elternteils ist regelmäßig über die individuelle anteilige Berücksichtigung überobligatorisch erzielten Einkommens nach Abzug konkreter Betreuungskosten Rechnung zu tragen. Soweit im Einzelfall noch ein Betreuungsbonus zugebilligt wird (vgl Ziffer 10.7 einiger Leitlinien), hängt die angemessene Höhe maßgeblich vom Alter des Kindes, dem Umfang der Entlastung durch eine Fremdbetreuung sowie den beiderseitigen Einkommens- und Vermögensverhältnissen ab. In der Vergangenheit wurden Beträge zwischen 100 und 300 EUR angesetzt (Hamm FamRZ 02, 1708; 03, 1105; Kobl NJW-RR 03, 937; Köln FamRZ 02, 463). Bei Berücksichtigung eines Bonus ist das verbleibende Einkommen ohne weiteren Abzug als aus obligatorischer Arbeit stammend zu behandeln und iRd Differenzberechnung zu berücksichtigen.

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