Rn 24

Zum grds Vorrang des dispositiven Rechts bei der Lückenfüllung o Rn 21. Sofern sich aus diesem keine Antwort ergibt, ist auf das schwierige Konzept des hypothetischen Parteiwillens zurückzugreifen. Hiernach soll darauf abzustellen sein, welche Regelung die Parteien im Hinblick auf den mit dem Vertrag verfolgten Zweck bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte getroffen hätten (stRspr, vgl nur BGH NJW 12, 1348; BGHZ 164, 286 = ZIP 05, 2197; NJW-RR 90, 817; Schlesw MDR 11, 650). Der hypothetische Wille darf trotz dieser Formulierung nach hM freilich nicht mit dem gleichgesetzt werden, was die konkreten Parteien vereinbart hätten, wenn sie die Regelungsbedürftigkeit erkannt hätten (LAG Berl-Brandbg 16 Sa 614/10; Staud/Roth Rz 31; MüKo/Busche Rz 47). Denn der hypothetische Wille ist seinerseits objektiv durch die Konzepte von Treu und Glauben und der Verkehrssitte determiniert (BGH NJW 02, 2311 [BGH 17.04.2002 - VIII ZR 297/01]). Daher ist die Frage, welche Regelungsvorschläge eine der Parteien bei rechtzeitigem Erkennen der Lücke gemacht hätte, unbeachtlich, so dass hierüber kein Beweis erhoben werden muss (Saarbr BeckRS 20, 3141; Staud/Roth Rz 31).

 

Rn 25

Bei der ergänzen Auslegung ist demnach zunächst an den Vertrag selbst anzuknüpfen. Denn die darin enthaltenen Regelungen und Wertungen, die den Sinn und Zweck des Geschäfts erkennen lassen, sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung (BGH NJW-RR 12, 1223 [BGH 02.03.2012 - V ZR 159/11] [Erbbauzinsbemessung]). Die Ergänzung des Vertrages darf auch nicht zu einer Veränderung der vertraglichen Risikozuweisung führen (BAG NJW 07, 2348 [BAG 28.09.2006 - 8 AZR 568/05] Tz 23). Sie muss sich als zwingende, selbstverständliche Folge aus dem ganzen Zusammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrags tatsächlich Vereinbarten stünde (BGHZ 77, 301, 304 = NJW 80, 2347). Auf dieser Grundlage hält die Rspr auch die Ergänzung eines Vertrages durch ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 für möglich (BGH NJW-RR 08, 562 [BGH 24.01.2008 - III ZR 79/07]; NJW 10, 1956 [BGH 11.03.2010 - III ZR 178/09] für die Gültigkeitsdauer von Telefonkarten).

 

Rn 26

Aus den hiernach bei der Ergänzung zu berücksichtigenden subjektiv/individuellen wie objektiven Komponenten ergibt sich ein Spannungsverhältnis, das nicht schematisch, sondern immer nur für den konkreten Einzelfall aufgelöst werden kann. Allerdings besteht bei Austauschverträgen eine Vermutung dahingehend, dass Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis stehen (BGH NJW 15, 1167 [BGH 03.12.2014 - VIII ZR 370/13]; BGH NJW 02, 2311 [BGH 17.04.2002 - VIII ZR 297/01] zur ergänzenden Vertragsauslegung eines Gaslieferungsvertrags als Dauerschuldverhältnis). Bei unerwarteten Vor- oder Nachteilen wird daher oft eine Halbteilung die angemessene Lösung sein (BGH NJW-RR 00, 894 [BGH 18.02.2000 - V ZR 334/98]).

 

Rn 27

Das Primat der Parteiautonomie gebietet es, dass die Feststellung des hypothetischen Parteiwillens nicht ex-post erfolgen darf, sondern aus der (mutmaßlichen) ex-ante Sicht erfolgen muss (BGH NJW-RR 05, 687; BGHZ 123, 281, 286 = NJW 93, 3194 (Buchwertklausel); GRUR 05, 320; Staud/Roth Rz 34; MüKo/Busche Rz 50; NK-BGB/Looschelders Rz 24; Grüneberg/Ellenberger Rz 7, anders Soergel/Wolf Rz 132). Daher kommt es auf nachträglich entstandene Verkehrssitten nicht an. Neues dispositives Recht ist aber wegen seines grds Geltungsvorrangs zu berücksichtigen.

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