Rn 8

Die §§ 133, 157 gelten für die Auslegung aller Willenserklärungen, auch für abstrakte Geschäfte (BGHZ 21, 161, Wechsel; BGH NJW-RR 96, 1458, Schuldversprechen; Ddorf NJW 07, 1291, Erbvertrag durch Prozessvergleich). Sie betreffen das Ob und das Wie einer Willenserklärung (Rn 1). Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von seinem Empfängerhorizont aus verstehen musste (BGH NJW 15, 934 [BGH 17.12.2014 - VIII ZR 88/13] Tz 35). Der Inhalt elektronischer Willenserklärungen ist nicht so zu bestimmen, wie sie das System verarbeitet, sondern wie sie der menschliche Adressat nach den allg Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 zu verstehen hat (BGHZ 195, 126 Tz 17). Für das Schweigen als Auslegungsgegenstand gelten die gleichen Grundsätze wie für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen (BRHP/Wendtland Rz 29).

 

Rn 9

Auslegungsfähig sind auch formbedürftige Willenserklärungen. Die in der älteren Rspr vertretene Andeutungstheorie verlangt, dass der Wille wenigstens andeutungsweise in der formgerechten Urkunde zum Ausdruck gekommen sein müsse (RGZ 59, 219; 160, 111; BGHZ 80, 245; BGH NJW 00, 1570; BAG NJW 07, 250 Tz 23), doch werden dadurch Auslegungsergebnis und Formgültigkeit vermengt (AnwK/Looschelders Rz 74). Formvorschriften beschränken nicht die für die Auslegung von Willenserklärungen zu berücksichtigenden Umstände (BAG NJW 07, 3228 Tz 20). Zunächst ist der Inhalt der Erklärung durch Auslegung zu ermitteln. Anschließend ist festzustellen, ob die Erklärung in der vorgeschriebenen Form zum Ausdruck gekommen ist (BGHZ 86, 46 f; BGH NJW 96, 2793).

 

Rn 10

Die für ausdrückliche Willenserklärungen formulierten Grundsätze gelten grds auch für konkludente Willenserklärungen (BGH NJW-RR 06, 1211 [BGH 30.03.2006 - I ZR 123/03], Pacht), zu Realofferten Vor §§ 116 ff Rn 20. Schlüssiges Verhalten kann nach der Rspr zum fehlenden Erklärungsbewusstsein dem Erklärenden als Willenserklärung zugerechnet werden, falls dieser bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass sein Verhalten vom Empfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte und wenn der Empfänger es tatsächlich so verstanden hat (BGHZ 91, 330; 109, 177; H.-J. Ahrens JZ 84, 987; aA Staud/Singer Vorbem zu §§ 116 ff Rz 34 ff). Von der bisherigen Judikatur zu konkludenten Bestätigungen, Genehmigungen, Zustimmungen und Verzichtserklärungen wurde dazu das Bewusstsein verlangt, dass eine Willenserklärung erforderlich sein kann (BGHZ 2, 153; 53, 178; 110, 222, 129, 377). Inzwischen wird hiervon abgesehen und eine Gleichstellung mit der Judikatur zum fehlenden Erklärungsbewusstsein vertreten (BGH NJW 95, 953 [BGH 29.11.1994 - XI ZR 175/93]; 02, 3630 [BGH 19.09.2002 - V ZB 37/02]; s.a. Grüneberg/Ellenberger § 133 Rz 11; unten Rn 37, Vor §§ 116 ff Rn 26). Die Bereitstellung eines Stromanschlusses bildet ein Vertragsangebot durch das EVU und die Inanspruchnahme der Leistungen, auch bei entgegenstehenden ausdrücklichen Äußerungen, die schlüssig erklärte Annahme eines Angebots durch den Mieter (nicht den Eigentümer) (BGH 27.11.19, VIII ZR 165/18).

 

Rn 11

Ausgelegt werden können geschäftsähnliche Erklärungen (BGHNJW 95, 46), Leistungsbeschreibungen (BGH NJW 99, 2433 [BGH 11.03.1999 - VII ZR 179/98]; Grüneberg/Ellenberger § 133 Rz 3) und Einwilligungen in ärztliche Eingriffe (BGH NJW 80, 1903 f [BGH 18.03.1980 - VI ZR 155/78]). Bei der Auslegung von AGB ist zusätzlich § 305c zu beachten.

 

Rn 12

Auf Prozesshandlungen der Parteien sind die §§ 133, 157 grds anwendbar (BGHZ 22, 269). Als Auslegungsziel gilt, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH NJW 94, 1538 [BGH 24.02.1994 - VII ZR 209/93]). §§ 133, 157 gelten entspr für den Insolvenzplan (BGH NJW-RR 06, 491 [BGH 06.10.2005 - IX ZR 36/02]). Die §§ 133, 157 sind gem § 62 3 VwVfG auf öffentlich-rechtliche Verträge anzuwenden (BVerwG NJW 90, 1928). Sie gelten aber auch für andere öffentlich-rechtliche Erklärungen (BGHZ 86, 110; BGH NJW 98, 2140).

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