Rn 1

Das 11. Buch der ZPO enthält die vom deutschen Gesetzgeber für notwendig erachteten Umsetzungs- und Begleitvorschriften zu den von der EU erlassenen Rechtsakten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit (heute Art 67 IV und 81 AEUV). Für Zustellungen ist seit dem 1.7.22 die Verordnung (EU) 2020/1784 anzuwenden (EuZVO, im Anhang nach § 1071 abgedruckt und erläutert, zur alten Rechtslage s die 13. Aufl). Die RL 2003/8/EG zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe wurde vom deutschen Gesetzgeber in §§ 10761078 umgesetzt. Die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen richtet sich seit dem 1.7.22 nach der Verordnung (EU) 2020/1783 (EuBVO, s Anhang nach § 1075, zur alten Rechtslage s die 13. Aufl).

 

Rn 2

Die VO (EG) Nr 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (EuVTVO, s Anhang nach § 1086) schaffte 2004 für eine bestimmte Gruppe von Vollstreckungstiteln das Exequaturverfahren im Vollstreckungsstaat ab und ermöglichte so den ›freien Verkehr von Entscheidungen‹ (Art 1 EuVTVO). Zu dieser Strategie gehören außerdem die VO (EG) Nr 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (EuMVVO, s Anhang nach § 1096) und die VO (EG) Nr 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO, s Anhang nach § 1109).

 

Rn 3

Es bleibt abzuwarten, ob die EuVTVO noch praktisch relevant bleibt, da für die seit dem 10.1.15 anhängig gemachten Verfahren die reformierte Brüssel Ia-VO (VO Nr 1215/2012) gilt, mit der das Exequaturverfahren generell für Zivil- und Handelssachen abgeschafft wurde (Überblick bei von Hein/Imm IWRZ 19, 112; vgl zur Auswahl zwischen den verschiedenen Verfahrensoptionen Bach RIW 18, 549).

 

Rn 4

Die Normen zur justiziellen Zusammenarbeit gelten in allen Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark. Dänemark gilt daher nicht als ›Mitgliedstaat‹ iSd folgenden Normen. Zur EuZVO besteht zwischen dem Königreich Dänemark und der EU ein völkerrechtliches Abkommen, aufgrund dessen sich die Geltung der EuZVO auch auf Dänemark erstreckt.

 

Rn 5

Gem Art 67–69 des BREXIT-Austrittsabkommens zwischen Großbritannien und der EU ist die justizielle Zusammenarbeit für eine Übergangsperiode nur noch bis Ende 2020 fortgesetzt worden. Da das Handels- und Kooperationsabkommen keine Regelung zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen enthält, sind die EU-Verordnungen nicht mehr anwendbar, für Zustellungen und Beweisaufnahmen gelten das HZÜ bzw das HBÜ (Mankowski EuZW-Sonderausgabe 1/20, 1, 13).

 

Rn 6

Der deutsche Gesetzgeber erlässt zu diesen Vorschriften jew spezielle Begleitnormen, die sich im 11. Buch der ZPO finden. Der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der Regelungen wäre es dienlich, diese im allgemeinen Verfahrensrecht zu verorten, zB Zustellungsregeln im Zustellungsrecht, Beweisregeln im Beweisrecht usw. Dann wären auch Hilfsnormen wie bspw in § 114 II nicht erforderlich.

 

Rn 7

Die im Folgenden behandelten Rechtsakte der EU sind von dem Wunsch nach Beschleunigung und Effektivierung der einschlägigen Zivilprozesse in den Mitgliedstaaten geprägt. Dieses legitime Ziel darf aber nicht auf Kosten der in der Union geltenden Menschenrechte erreicht werden. Insbesondere garantieren Art 47 II EU-Grundrechtscharta sowie Art 6 I 1 EMRK jeder Person ein faires Verfahren auch im Zivilprozess. Dasselbe ergibt sich als ›allgemeines Prozessgrundrecht‹ auch aus Art 1, 2 und 20 GG (BVerfGE 109, 38, 60 [BVerfG 05.11.2003 - 2 BvR 1506/03]), soweit diese Vorschriften im europarechtlichen Kontext noch beachtlich sind. Diese rechtstaatlichen Grundsätze müssen durch Wissenschaft und Praxis bei der Anwendung und Auslegung der verhältnismäßig jungen Normen im Bereich der europäischen justiziellen Zusammenarbeit erst noch konkretisiert werden.

 

Rn 8

Die Unübersichtlichkeit der im Folgenden erörterten Instrumente wird deutlich gelindert durch das von der EU-Kommission unterhaltene ›Europäische Justizportal‹; abrufbar unter https://e-justice.europa.eu/home.do?action=home&plang=de. Es enthält für die verschiedenen Regelungswerke der justiziellen Zusammenarbeit eine Fundgrube von auf die einzelnen Mitgliedstaaten bezogenen Informationen.

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