Rn 10

Die Gewährleistungsfunktion von § 850f I sichert dem Schuldner einen an den sozialrechtlichen Maßstäben orientierten Lebensunterhalt. Trotz eigener Einkünfte soll er nicht die Sozialsysteme in Anspruch nehmen müssen. Daran schließt sich die Überlegung an, dass der Gläubiger nicht sein materielles Forderungsrecht zulasten der öffentlichen Träger der Daseinsfürsorge verwirklichen darf. Unterstützt ein Sozialleistungsträger den Schuldner, wird ebenfalls eine Erhöhung nach § 850f I Nr 1 für möglich gehalten (LG Detmold Rpfleger 00, 341; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Kessal-Wulf/Lorenz/Els § 850f Rz 6).

 

Rn 11

Der Pfändungsumfang ist vom Vollstreckungsgericht individuell zu berechnen. Um die Umstände des Einzelfalls angemessen zu berücksichtigen, muss bei der Unterhaltsbemessung differenziert werden. Als Mindestmaß muss stets der gesamte existenznotwendige Bedarf eines jeden Schuldners realitätsgerecht berücksichtigt werden (BVerfG NJW 10, 505 Rz 137, 139). Gewährleistet sein muss sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die gesicherte Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (BVerfG NJW 10, 505 Rz 135; BGH WM 11, 76 Rz 15 zu Abs 2). Aufgrund der Verweisungsarchitektur in § 850f I Nr 1 sind die vollstreckungsrechtlichen Regeln entspr den sozialrechtlichen Referenzbestimmungen in den §§ 20 ff SGB II bzw den §§ 27 ff SGB XII zu interpretieren (Anders/Gehle/Nober ZPO § 850f Rz 3; Musielak/Voit/Flockenhaus § 850f Rz 2; Saenger/

Kemper § 850f Rz 4; aA nur SGB XII BGH NJW-RR 09, 1459 [BGH 23.07.2009 - VII ZB 103/08] Rz 23; Gottwald/Mock § 850f Rz 11). Wegen des Nachrangs der Sozialhilfe, § 2 SGB XII, gelten die Regelungen der Sozialhilfe für die nicht erwerbsfähigen Personen. Dementsprechend ist der notwendige Unterhalt des nicht erwerbsfähigen Schuldners am SGB XII auszurichten. Für den erwerbsfähigen Schuldner ist dagegen auf die im SGB II angelegten Beträge der Grundsicherung für Arbeitsuchende abzustellen (LG Frankfurt Rpfleger 11, 543, 544, zu § 850f II; ThoPu/Seiler § 850f Rz 3; zu § 850d ebenso LG Aschaffenburg FamRZ 07, 1664, 1665; Zimmermann/Freeman ZVI 08, 374, 375 ff). Die differenzierten Verweisungen bilden die notwendige Konsequenz aus den unterschiedlichen sozialrechtlichen Materien (aA Zö/Herget § 850f Rz 2c, der die gesetzliche Bezugnahme auf das SGB II für unanwendbar erklären möchte; anders aber Stöber/Rellermeyer Rz C.423). Wegen der bestehenden Differenzierungsgründe liegt auch kein redaktionelles Versehen vor, denn es geht nicht um eine unterschiedliche Behandlung der Einkünfte, sondern den Bedarf (aA HK-ZV/Meller-Hannich § 850f Rz 5).

 

Rn 12

Der frühere Unterschied ist zwischenzeitlich partiell nivelliert, weil die Verweisung auf das 11. Kap des SGB XII gestrichen worden ist. Weiterhin ist nach § 20 III SGB II bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 V SGB II umziehen, der Satz bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs auf die Regelbedarfsstufe 3 von derzeit EUR 402,– beschränkt, anders nach § 28 SGB XII, wonach sie den Regelbedarf von EUR 502,– beanspruchen können.

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