Rn 24

Besondere persönliche oder berufliche Bedürfnisse sind zu berücksichtigen, soweit sie nicht schon in die Bemessung des notwendigen Unterhalts nach Abs 1 lit a eingegangen sind. Das Bedürfnis muss aktuell und konkret sein und darf bei den meisten Personen in vergleichbarer Lage nicht auftreten. Die Vorschrift soll einen Ausgleich schaffen, wenn der individuelle Bedarf durch die pauschal unpfändbaren Einkommensteile aufgrund besonderer Umstände nicht gedeckt werden kann (BGH NJW 09, 2313 Rz 10; NZI 19, 941 Rz 17). Der Schuldner soll so gestellt werden, wie ein Empfänger von Sozialhilfe nach § 52 SGB XII (BGH NJW 09, 2313 [BGH 23.04.2009 - IX ZB 35/08] Rz 10, 14; NZI 18, 218 Rz 20; Musielak/Voit/Flockenhaus § 850f Rz 5; krit Stahlschmidt ZInsO 09, 1987), also auch nicht bessergestellt werden (BGH NZI 18, 218 Rz 22). Auf Grundlage einer Vergleichsrechnung ist zu bestimmen, ob für den Schuldner überdurchschnittliche Kosten anfallen (Kohte VuR 16, 358, 359). Die Regelung betrifft die Befriedigung gegenwärtiger Bedürfnisse des Schuldners; nicht erfasst ist grds die Begleichung alter Schulden (BGH NZI 19, 941 [BGH 19.09.2019 - IX ZB 2/18] Rz 19).

 

Rn 24a

Eine erste Gruppe besonderer Bedürfnisse resultiert aus dem Gesundheitszustand des Schuldners. Erfasst wird der Selbstbehalt für die aus medizinischen Gründen erforderlichen Therapien (BGH NJW 09, 2313 Rz 10, 16). Eingeschlossen sind auch die konkreten Ausgaben aufgrund eines mit der Krankenkasse vereinbarten Selbstbehalts (LG Düsseldorf JurBüro 06, 156) sowie Rezeptgebühren. Dazu müssen die Behandlung aus medizinischen Gründen erforderlich, die Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen und die Kosten verhältnismäßig sein, vorausgesetzt der Sozialhilfeträger wäre im Bedarfsfall eingetreten (BGH NZI 18, 218 Rz 20). Beim Bezug von Pflegegeld nach § 37 SGB XI kann der Schuldner grds keine Erhöhung verlangen, anders aber, wenn er Sachleistungen nach § 36 SGB XI in Anspruch nimmt und die Leistungen für eine verhältnismäßige Pflege nicht ausreichen (BGH NZI 18, 218 [BGH 21.12.2017 - IX ZB 18/17] Rz 27 ff). Kosten für die Anschaffung von FFP 2-Masken rechtfertigen keine Erhöhung, weil es sich um allgemeine Bedürfnisse handelt, die im Pfändungsfreibetrag abgebildet sind (vgl zum Sozialrecht LSG NRW BeckRS 22, 4499). Anzusetzen sind auch die von der Pflegeversicherung nicht gedeckten Kosten der Unterbringung in einem Pflegeheim (Zö/Herget § 850f Rz 2a). Zu berücksichtigen sind die gegenwärtigen, nicht die früheren Kosten (AG Wuppertal JurBüro 12, 46). Muss der Schuldner in eine andere angemessene Wohnung umziehen, stellen die Umzugskosten besondere persönliche Bedürfnisse dar.

 

Rn 25

Als weitere Gruppe nennt § 850f I Nr 2 beruflich veranlasste besondere Bedürfnisse. Die Kosten müssen notwendig gesteigerte Aufwendungen betreffen, die durch die berufliche Tätigkeit entstehen. Sie können etwa aus besonders hohen Fahrtkosten resultieren (LG Bochum Rpfleger 98, 531 [LG München I 15.07.1998 - 13 T 12419/98]; LG Halle Rpfleger 00, 285, nur die über den üblichen Rahmen hinausgehenden Fahrtkosten), die durch die Pauschbeträge nach § 11 II Nr 5 SGB II nicht hinreichend abgedeckt sind (Rn 18). Eine abstrakte Bemessung allein nach den gefahrenen Kilometern genügt nicht, da ein konkretes Bedürfnis feststellbar sein bzw die individuelle Situation beurteilt werden muss (BGH NJW 08, 2313 Rz 10, 16). Eine Entfernung von 25 km zur Arbeitsstelle kann einen Anhaltspunkt bieten (LG Mühlhausen ZInsO 16, 1705; 30 km LG Braunschweig ZInsO 11, 1268, 1269; Mock Forderungsvollstreckung, § 6 Rz 460; 20 km AG Fritzlar ZInsO 09, 201; AG Neustadt/Weinstraße ZVI 18, 163; Kohte VuR 16, 358, 359). Im Rahmen der erforderlichen Abwägung ist zu berücksichtigen, ob besonders hohe Fahrtkosten durch unterdurchschnittliche Mietkosten im ländlichen Raum oder Ostdeutschland etc kompensiert werden (vgl. BGH NZI 18, 218 [BGH 21.12.2017 - IX ZB 18/17] Rz 16). Dann ist eine Erhöhung ausgeschlossen. Da der Schuldner nicht besser als ein Sozialhilfeempfänger gestellt werden soll (BGH NJW 08, 2313 Rz 16), ist von einer Kilometerpauschale von EUR 0,20 (Rn 18) auszugehen (LG Mühlhausen ZInsO 16, 1705; EUR 0,30 AG Fritzlar ZInsO 09, 201; AG Neustadt/Weinstraße ZVI 18, 163; Kohte VuR 16, 358, 359). Vereinzelt wird angenommen, es seien nur die Kraftstoffkosten zu berücksichtigen (LG Bonn JurBüro 09, 550), doch sind aufgrund der gebotenen Einzelfallabwägung insb bei geringer privater Nutzung auch Steuern und Versicherungen anzusetzen. In Betracht kommen auch Reparaturkosten, wenn der Pkw für den Schuldner erforderlich ist und die Reparaturkosten angemessen sind (Ahrens VIA 21, 36; aA AG Kiel NZI 21, 586). Ggf können die anteiligen Aufwendungen für Ersatzbeschaffungen eines benötigten Kfz (LG Trier ZVI 15, 184, schließt dies bei besonders hohen Mietkosten aus, doch besteht insoweit kein Zusammenhang), bei dem private und berufliche Nutzung zu trennen sind, oder für ein Notebook angesetzt werden. Bei einer auswärtigen Berufstätigkeit...

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