Rn 6

Eine gesetzliche Frist, innerhalb derer die Begründung vorzulegen ist, gibt es nicht. Das Beschwerdegericht oder dessen Vorsitzender kann dem Beschwerdeführer eine Frist für das Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln setzen. Um eine solche Frist handelt es sich auch, wenn dem Beschwerdeführer eine Frist zur Begründung der sofortigen Beschwerde gesetzt wird. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, eine bestimmte Frist vorzugeben, damit das Gericht flexibel auf die Vielgestaltigkeit der Beschwerden reagieren kann (BTDrs 14/4722, 113). Die Frist muss ›angemessen‹ sein (s.u.). Der Beschwerdeführer ist über die Folgen der Fristversäumung (Abs 3 S 2) zu belehren. Nach Fristablauf eingehendes Vorbringen wird nur zugelassen, wenn die Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung nicht verzögert oder der Beschwerdeführer die Verspätung genügend entschuldigt; die Entschuldigung ist auf Verlangen glaubhaft zu machen (Abs 3 S 2, 3; vgl auch die Erl zu §§ 296 I, 530; zur Glaubhaftmachung vgl § 294). Jeder innerhalb der Frist eingehende Schriftsatz muss berücksichtigt werden (Art. 103 I GG; vgl BVerfGE 53, 219, 222; BGH NJW 11, 1363 Rz 4; VersR 18, 1212 Rz 6). Vor Ablauf der Frist darf das Gericht nicht entscheiden. Ist eine Frist nicht gesetzt worden, ist jegliches Vorbringen zu berücksichtigen, das bei Gericht eingeht, bevor die Beschwerdeentscheidung erlassen worden ist (also noch geändert werden könnte). ›Erlassen‹ ist ein nicht verkündeter Beschl, sobald er vollständig unterschrieben auf die Geschäftsstelle gelangt und diese mit der Zweckbestimmung wieder verlassen hat, den Parteien bekannt gegeben zu werden (BGH NJW-RR 04, 1575 [BGH 01.04.2004 - IX ZR 117/03]; 11.2.20, II ZR 130/19 Rz 2; anders § 38 III 3 FamFG).

Das Beschwerdegericht ist nicht verpflichtet, eine Begründungsfrist zu setzen (BGH 30.6.11 – IX ZB 29/11 Rz 2; WRP 22, 191 Rz 14; BVerfG NJW 19, 1060 Rz 5). In jedem Fall hat es jedoch eine angemessene Zeit zu warten, bevor es über die Beschwerde entscheidet (vgl BVerfG NJW 09, 1582 Rz 11; BGH AnwBl 17, 895 Rz 10; WRP 22, 191 [BGH 23.09.2021 - I ZB 10/21] Rz 14). Das gilt insbesondere dann, wenn der Beschwerdeführer sich die Begründung seines Rechtsschutzbegehrens vorbehalten hat. Entweder ist eine Frist zu setzen oder eine angemessene Zeit zu warten (BVerfG NJW 19, 1060 Rz 2). Was ›angemessen‹ ist, richtet sich nach den Umständen des einzelnen Falles, insb der Schwierigkeit der Sache, dem Umfang der Akten und der Eilbedürftigkeit des Verfahrens (BVerfGE 60, 317, 318 = NJW 82, 1691 [BVerfG 21.04.1982 - 2 BvR 873/81]; NJW 19, 1060 Rz 4). In der Regel soll die Frist mindestens zwei Wochen ab Eingang der Beschwerde betragen (BGH NZI 2010, 998 [BGH 14.10.2010 - IX ZB 44/09] Rz 3; 24.9.09, IX ZB 285/08 Rz 2; 2.12.10, IX ZB 121/10 Rz 4; vgl auch BGH 21.1.10, IX ZB 155/06 Rz 7; in einem besonders gelagerten Fall – mehrfache Fristsetzung vor Erlass der Ausgangsentscheidung – hat der BGH eine Frist von einer Woche für ausreichend gehalten; BGH 30.6.11 – IX ZB 29/11 Rz 4). Entscheidet das Gericht vor Ablauf der gesetzten Frist oder sonst angemessener Zeit, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (BVerfG NJW 19, 1060 [BVerfG 22.01.2019 - 2 BvR 93/19] Rz 2). Dem Beschwerdeführer ist zu empfehlen, bereits in der Beschwerdeschrift mitzuteilen, dass eine Begründung nachgereicht werde, und innerhalb der nächsten zwei Wochen entweder das Rechtsmittel zu begründen oder um Einräumung einer längeren Frist zu bitten. Das Beschwerdegericht sollte jedenfalls zwei Wochen (gerechnet ab Eingang der Beschwerde beim judex a quo) mit der Entscheidung über die Beschwerde zuwarten. Wenn abzusehen ist, dass eine Entscheidung so kurzfristig nicht ergehen wird, empfiehlt es sich, beiden Parteien einen Zeitpunkt mitzuteilen, bis zu dem Stellung genommen werden kann (›wird die Kammer nicht vor dem … entscheiden‹). Ebenso wie der Beschwerdeführer Gelegenheit haben muss, sein Rechtsmittel zu begründen, muss der Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen oder schon auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens als unbegründet zurückzuweisen ist. Berücksichtigt das Beschwerdegericht einen vor Erlass der Beschwerdeentscheidung eingegangenen, aber nicht vorgelegten Schriftsatz nicht, liegt darin ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG; vgl BVerfG NJW 09, 1582 Rz 12; BGH WM 12, 1638 Rz 7; vgl auch BGH NJW 18, 3786 Rz 9 zu § 38 III 3 FamFG). Handelt es sich um einen Schriftsatz, der sich mit der angefochtenen Entscheidung argumentativ auseinandersetzt, ist der Gehörverstoß grds entscheidungserheblich (BGH WM 10, 1788 Rz 14 ff).

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