Gesetzestext

 

1Der Prüfung und Entscheidung des Berufungsgerichts unterliegen nur die Berufungsanträge. 2Das Urteil des ersten Rechtszuges darf nur insoweit abgeändert werden, als eine Abänderung beantragt ist.

A. Systematik, Zweck, Anwendungsbereich.

 

Rn 1

S 1 regelt den sachlichen Umfang der Verhandlung und Entscheidung 2. Instanz. Trotz der auf eine Fehlerkontrolle und -berichtigung gerichteten Funktion der Berufung muss deren Streitgegenstand nicht notwendig identisch mit dem 1. Instanz und damit auf eine Abänderung des angefochtenen Urteils beschränkt sein. Vielmehr unterliegt er der Disposition der Parteien, kann der 1. Instanz ggü entweder beschränkt oder (unter engen Voraussetzungen) erweitert werden. S 2 schränkt die Befugnis des Berufungsgerichts zur Abänderung des angefochtenen Urteils auf die gestellten Anträge ein, S 1 lässt eine Entscheidung iRd über die Abänderung hinausgehender Anträge zu.

 

Rn 2

Die Vorschrift gilt in allen Berufungsverfahren, auch im WEG-Verfahren und im isolierten Kostenbeschwerdeverfahren (Ddorf Rpfleger 16, 103). Zur Geltung im Betreuungsverfahren BGH BtPrax 17, 74 [BGH 07.12.2016 - XII ZB 458/15] m Anm Seggewiße/Weber, BtPrax 17, 142. Auf das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahrens findet § 528 gem § 64 VI ArbGG entsprechende Anwendung.

B. Umfang der Anträge.

 

Rn 3

Der Gegenstand des Berufungsverfahrens wird durch die Anträge der Parteien bestimmt (§ 520 III 2 Nr 1). Auch Hilfsanträge sind grds innerhalb der Frist für die Berufungsbegründung zu stellen. Später gestellte Anträge sind nach §§ 530, 296 zu berücksichtigen, wenn ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert (BGH GRUR 22, 1049). Fehlt es an einem ausdrücklich formulierten Antrag, können sich Umfang und Ziel der Anfechtung aus dem sonstigen Inhalt des Begründungsschriftsatzes ergeben (BGH FamRZ 15, 247; MDR 11, 933; § 520 Rn 21 ff). In allen Fällen kann sich das Berufungsbegehr auf die angefochtene Entscheidung beschränken oder darüber hinausgehen.

I. Angefochtene Entscheidung.

 

Rn 4

Zum Gegenstand des Berufungsverfahrens wird der erstinstanzliche Streitgegenstand, soweit durch das angefochtene Urt über ihn entschieden und er durch die Berufung oder die Anschlussberufung angefochten ist. Der Anfechtung insoweit unterfallen auch die dem Urt vorausgegangenen Entscheidungen (§ 512). Richtet sich die Berufung gegen eine im Anhörungsrügeverfahren ergangene Entscheidung des unteren Gerichts, so ist dieses Verfahren fortzuführen, darauf zu überprüfen, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war (BGH WM 16, 2147).

 

Rn 5

Streitgegenstand erster Instanz sind die vom Kl durch die Anträge geltend gemachten und zur Entscheidung des Gerichts gestellten prozessualen Ansprüche. Sie bestimmen sich nach den begehrten Rechtsfolgen, nicht nach den zur Begründung vorgetragenen tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen (Angriffs- und Verteidigungsmittel).

 

Rn 6

Im angefochtenen Urt entschieden wurde über diese Streitgegenstände, wenn ihnen in der Urteilsformel stattgegeben oder die Klage insoweit abgewiesen wurde. Wurde erstinstanzlich nur über einen Teil der dortigen Streitgegenstände entschieden (Teilurteil, § 301), können nur diese mit der Berufung angegriffen werden (BGHZ 30, 213, 216). Vom Erstgericht (zB durch Teil- oder Vorbehaltsurteil) bewusst nicht beschiedene Ansprüche führen zu einer Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens und einer weiteren, eigenständig anzufechtenden Endentscheidung (zur Einbeziehung in das Berufungsverfahren ohne vorherige erstinstanzliche Entscheidung Rn 8). Versehentlich nicht entschiedene erstinstanzliche Streitgegenstände können durch eine Urteilsergänzung (§ 321) in die Entscheidung einbezogen werden. Geschieht dies mangels Antrag nicht, erlischt die Rechtshängigkeit, die entsprechenden Streitgegenstände können in 2. Instanz nur noch als neue geltend gemacht werden. Dies gilt auch für Ansprüche, deren Rechtshängigkeit vor der Entscheidung 1. Instanz anderweitig endete (BGH NJW 91, 1684 [BGH 29.11.1990 - I ZR 45/89]). Ist eine Entscheidung bewusst unterblieben, weil das erstinstanzliche Gericht irrtümlich davon ausging, eine Entscheidung sei (zB wegen Erledigung oder Rücknahme) nicht mehr erforderlich, muss sich die Berufung hierauf erstrecken können (MüKoZPO/Rimmelspacher Rz 8). Spricht ein erstinstanzliches Urteil dem Kläger mehr zu als beantragt, wird der Verstoß gg § 308 Abs 1 S 1 geheilt, wenn der Kläger durch einen uneingeschränkten Antrag auf Zurückweisung der Berufung seine Klage im Berufungsrechtszug sinngemäß erweitert und so dem Umfang der erstinstanzlichen Verurteilung anpasst (Rostock MDR 20, 691).

 

Rn 7

Der Umfang der Anfechtung bestimmt sich nach den in der Berufung gestellten (§§ 520 III 2 Z 1, 525, 297) Anträgen. Diese können die in der Entscheidung liegende Beschwer ausschöpfen oder sich auf einen Teil davon beschränken. Zur Beschränkung und Erweiterung der Anträge während der Berufungsinstanz § 520 Rn 25, 28.

II. Erweiterung des Streitgegenstands.

1. Nicht entschiedene erstinstanzliche Streitgegenstände.

 

Rn 8

In einem Berufungsverfahren gegen ein Teilurteil sind die erstinstanzlich nicht entschiedenen Streitgegenstände nicht Gegenstand des Berufungsverf...

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