Rn 14

Wie bei den öffentlichen Urkunden über Erklärungen (§ 415 II) ist auch bei den öffentlichen Zeugnisurkunden der Beweis der Unrichtigkeit zulässig. Hierzu muss bewiesen werden, dass das in der Urkunde bezeugte Geschehen nicht mit dem tatsächlichen Geschehen übereinstimmt. Funktional betrachtet handelt es sich um einen Gegenteilsbeweis (s § 415 Rn 30). Prozessuale Sonderregeln (vgl § 165, § 314) können den Beweis der Unrichtigkeit einschränken (BeckOKZPO/Krafka Ed. 46 § 418 Rz 11).

Der Beweis der Unrichtigkeit muss grds zur vollen Überzeugung des Gerichts geführt, der Beweiswert der Urkunde also vollständig entkräftet werden (BVerfG NJW-RR 02, 1008 [BVerfG 20.02.2002 - 2 BvR 2017/01]; NJW 93, 254, 265 [BVerfG 28.02.1992 - 2 BvR 1179/91]; BGH NJW 06, 150, 151 [BGH 10.11.2005 - III ZR 104/05]; NJW 06, 1206, 1207 [BGH 18.01.2006 - VIII ZR 114/05]; NJW 09, 855, 856 [BGH 14.10.2008 - VI ZB 23/08] [Zustellungsurkunde]; NJW-RR 12, 2117; NJOZ 19, 876, 877 [jew EB]; MDR 20, 627 [Eingangsstempel]; NJOZ 21, 554, 556 [notarieller Beglaubigungsvermerk]). Eine Parteivernehmung kommt hierfür wegen § 445 II nicht in Betracht. Im Übrigen gibt es keine Beweismittelbeschränkung. Die Rspr lässt vielmehr einen Freibeweis zu (BGH MDR 20, 627; BVerwG NJW 94, 535, 536), wobei jedoch immer wieder betont wird, dass der Freibeweis mehr als eine bloße Glaubhaftmachung erfordere (BGH NJW 05, 3501 [BGH 15.09.2005 - III ZB 81/04]; NJW 08, 3501; NJW-RR 10, 217, 218 [BGH 11.11.2009 - XII ZB 174/08]; NJW 17, 2285, 2286 [BGH 31.05.2017 - VIII ZR 224/16] mwN). Berücksichtigt wird neben den üblichen Beweismitteln auch die eidesstattliche Versicherung, ohne dass damit die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung herabgestuft würden (BGH NJW 01, 2722, 2723 [BGH 24.04.2001 - VI ZR 258/00]; MDR 20, 627 [BGH 28.01.2020 - VI ZB 38/17]). Insofern muss unterschieden werden zwischen der Zulassung der eidesstattlichen Versicherung als Beweismittel einerseits und der Glaubhaftmachung als geringerem Grad der Überzeugungsbildung andererseits (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 24 zur Widerlegung des vom Eingangsstempel bezeugten verspäteten Eingang eines Schriftsatzes). Grds genügt für den Beweis der Unrichtigkeit nicht die bloße Glaubhaftmachung (§ 294) eines abweichenden Geschehens (BGH NJW 00, 1872, 1873; NJW 08, 3501 [BGH 03.07.2008 - IX ZB 169/07]; NJW-RR 20, 499, 500 [BGH 28.01.2020 - VIII ZB 39/19]). Glaubhaftmachung als geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad reicht nur aus, wo das Gesetz statt des Vollbeweises eine Glaubhaftmachung genügen lässt (MüKoZPO/Schreiber § 418 Rz 9 mwN; vgl auch BGH FamRZ 96, 1004; BFH 14.3.11 VI R 81/10 [NV] mwN).

 

Rn 15

Ist der rechtzeitige Eingang eines Schriftsatzes bei Gericht zu beweisen, muss gegen den durch den Eingangsstempel erbrachten Beweis bspw der Gegenbeweis zur vollen Überzeugung des Gerichts geführt werden (BGH NJW-RR 20, 499, 500 [BGH 28.01.2020 - VIII ZB 39/19]; s.a. Zö/Feskorn § 418 Rz 4). Eine anwaltliche Versicherung, dass das in einem anwaltlichen Empfangsbekenntnis angegebene Datum unzutreffend ist, reicht grds nicht; es kann jedoch Zeugenbeweis angetreten werden (BGH NJW 09, 855, 856; NJW-RR 10, 217, 218; MDR 17, 839; NJW-RR 22, 644, 645 [BGH 08.03.2022 - VIII ZB 96/20]; OLG Rspr Bremen 2009, 785). Auf der anderen Seite sollen in Fällen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden (BGH BeckRS 14, 00971 Rz 8; BGH NJW 09, 855, 856 [BGH 14.10.2008 - VI ZB 23/08]; NJW 17, 2285, 2286). Wird etwa die Unrichtigkeit eines gerichtlichen Eingangsstempels nach Einwurf eines Schriftsatzes in den Nachtbriefkasten vorgetragen, dann muss zunächst das Gericht durch Einholung einer dienstlichen Äußerung der Wachtmeisterei aufklären, ob es im Hinblick auf die Funktionsweise des Nachtbriefkastens oder das bei der Leerung zu beachtende Verfahren einen Fehler gegeben hat (BGH BeckRS 14, 00971, Rz 8; BGH NJW 00, 1872, 1883; NJW-RR 05, 75; NJW 05, 3501 [BGH 15.09.2005 - III ZB 81/04]; NJW 07, 3069 [BGH 08.05.2007 - VI ZB 80/06]; NJW 08, 3501 [BGH 03.07.2008 - IX ZB 169/07]; WuM 11, 176; NJW-RR 12, 701, 702 [BGH 17.02.2012 - V ZR 254/10]; NJW 17, 2285, 2286 [BGH 31.05.2017 - VIII ZR 224/16]; MDR 20, 627 [BGH 28.01.2020 - VI ZB 38/17]; Musielak/Voit/Huber § 418 Rz 5; vgl auch BVerfG NJW 20, 142, 143 [BVerfG 01.10.2019 - 1 BvR 552/18]; zur Darlegung einer Protokollfälschung vgl BGH NJW 08, 804, 805; zur anwaltlichen Versicherung als Angebot zur Vernehmung des Anwalts BGH NJW-RR 10, 217, 218 [BGH 11.11.2009 - XII ZB 174/08]; NJW-RR 18, 958, 959 [BGH 08.05.2018 - VI ZB 5/17]). In der Praxis haben sich diese besonderen Problemkonstellationen zu § 418 II durch die Verpflichtung zur Einreichung als elektronische Dokumente für professionelle Nutzer (§ 130d) weitgehend erledigt.

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