I. Anwendbarkeit in Fällen mit Auslandsberührung.

 

Rn 9

In Fällen mit Auslandsberührung ist § 38 II anwendbar, sofern die Vorschrift nicht durch speziellere Normen des internationalen Zivilprozessrechts, einschließlich solcher in etwaigen bi- oder multilateralen Staatsverträgen, verdrängt wird. Im Anwendungsbereich der EuGVVO verdrängt Art 23 EuGVVO aF (= Art 25 EuGVVO in der seit dem 10.1.15 geltenden Fassung) § 38 II in vollem Umfang mit der Folge, dass die Beschränkungen des § 38 II 2 nicht zur Anwendung kommen (BGH, Urt v 9.6.16 – IX ZR 314/14, Rz 35 – juris; Frankf Beschl v 28.10.21 – 11 SV 41/21, Rz 14 – juris m Anm Cranshaw, jurisPR-IWR 1/22 Anm 4; Karlsr ZMR 06, 929, 930; BayObLG BB 01, 1498; Mark/Gärtner MDR 09, 837, 839). Ein gem Art. 25 I S 2 EuGVVO (VO [EU] 1215/2012) vereinbarter Gerichtsstand ist grds ausschließlich (Hamm Beschl v 29.5.17 – 32 SA 4/17 – juris). Gleiches gilt für Art 17 LugÜ. Im Falle der Beteiligung von Verbrauchern ist überdies Art 17 EuGVVO aF (= Art 19 EuGVVO in der seit dem 10.1.15 geltenden Fassung) zu beachten.

II. Verhältnis von § 38 I zu § 38 II.

 

Rn 10

Das Verhältnis des § 38 I zu § 38 II ist umstr. Praktische Konsequenz dieses Streits ist, ob im Falle der Beteiligung mindestens eines Kaufmanns mit Auslandssitz die strengeren (formalen) Anforderungen des § 38 II gelten oder ob § 38 I auch in Fällen mit Auslandsberührung ausnahmslos gilt. Die hM, wonach § 38 I als lex specialis im Anwendungsbereich der Vorschrift § 38 II verdrängt (München OLGR 01, 27; Saarbr NJW 00, 670, 671 [OLG Saarbrücken 13.10.1999 - 1 U 190/99 - 37]; Zö/Schultzky § 38 Rz 30; Mark/Gärtner MDR 09, 837, 841; Putzo NJW 75, 502f), ist ggü der Mindermeinung, wonach § 38 II im Verhältnis zu § 38 I verdrängende Spezialvorschrift sei (Nürnbg NJW 85, 1296 f [OLG Nürnberg 28.11.1984 - 9 U 3061/84]; AG Berlin-Charlottenburg NJW 75, 502 [AG Berlin-Charlottenburg 23.12.1974 - 7 C 785/74 B]), vorzugswürdig. Denn dieses Spezialitätsverhältnis trägt dem Normzweck des § 38 I Rechnung, der für die von der Norm erfassten prorogationsbefugten Personen den Abschluss von Gerichtsstandsabreden umfassend erleichtern sollte und wird überdies der Gesetzessystematik gerecht, wonach Abs 1 als anwendungsvorrangig an die Spitze des § 38 gestellt wurde und Abs 2 lediglich als weiteren Fall (vgl den Wortlaut: ›ferner‹) anschließt. Dem hat sich der BGH nun angeschlossen (Urt v 9.6.16 – IX ZR 314/14, Rz 38 – juris).

III. Mindestens eine der Vertragsparteien hat keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland (§ 38 II 1).

 

Rn 11

Hat eine der Parteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, kann für die andere Partei ein ggü dem ›Normalfall‹ gesteigertes Prorogationsbedürfnis bestehen, um die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für künftige Rechtsstreite sicherzustellen und nicht bei Erforderlichkeit des Beschreitens des Rechtswegs ihr Recht vor ausländischen Gerichten suchen zu müssen. Aber auch wenn beide Parteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben, kann es ein solches Bedürfnis geben, etwa wenn ein avisiertes Vertragsverhältnis ausschließlich im Inland begründet und abgewickelt werden soll. Umgekehrt kann aber auch das berechtigte Anliegen bestehen, in einer solchen Konstellation eine ausschließliche ausländische Zuständigkeit zu begründen, weil das in Rede stehende Rechtsverhältnis überwiegende Bezüge zu diesem Staat und seinen Rechtsregeln aufweist. Diesem praktischen Bedürfnis trägt die durch § 38 II eröffnete Prorogationsmöglichkeit für nach § 38 I nicht prorogationsbefugte Parteien Rechnung. Da es sich aber um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung zum allgemeinen, tendenziell verbraucherschützenden Prorogationsverbot handelt, ist das Tatbestandsmerkmal des fehlenden allgemeinen Inlandsgerichtsstands einer Partei wörtlich zu nehmen und nicht erfüllt, wenn die in Rede stehende Partei neben einem allgemeinen Inlandsgerichtsstand auch einen solchen Gerichtsstand im Ausland hat (BGH NJW 86, 1438, 1439 [BGH 20.01.1986 - II ZR 56/85]; NJW-RR 05, 929, 931). Demgegenüber ist es, was vor dem Hintergrund des vorstehend dargelegten Normzwecks durchaus Sinn macht, nach dem eindeutigen Wortlaut des § 38 II für das Eingreifen der Vorschrift unerheblich, ob trotz fehlenden allgemeinen Inlandsgerichtsstands ein besonderer Gerichtsstand (wie zB § 29) im Inland besteht (vgl statt Vieler: Musielak/Voit/Heinrich § 38 Rz 16). Umstritten und vom BGH bislang nicht beantwortet (BGH NJW-RR 05, 929, 931 [BGH 14.04.2005 - IX ZB 175/03]) ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 38 II vorliegen müssen. Die Auffassung, wonach es auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit ankommt (Zö/Schultzky § 38 Rz 31; Anders/Gehle/Becker ZPO § 38 Rz 22, aber auch alt bei Zuständigkeitsvereinbarung; dagegen Musielak/Voit/Heinrich § 38 Rz 16), vermag nicht zu überzeugen, da sie den Parteien im Widerspruch zum Wortlaut des § 38 II 1 die Möglichkeit einer rechtssicheren Vertragsgestaltung entzieht (St/J/Bork § 38 Rz 26; Wieczorek/Smid/Hartmann § 38 Rz 99; s.a. BeckOK ZPO/Toussaint § 38 Rz 31).

IV. Schriftlicher Abschluss der Vereinbarung oder schriftliche Bestätigung einer getroffenen Vereinbarung (§ 38 II 2).

 

Rn 12

Zum Merkmal der ›Schriftlichkeit‹ in § 38 II 2 gibt es auf Grund des Anwendungsvorrangs der EuGVVO (früher des EuGVÜ) wenig h...

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