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Die durch das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren im Jahre 2005 neu geschaffene Vorschrift ist durch das am 1.11.12 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 19.10.12 teilweise neugefasst worden (BGBl I 12, 2182) (zur Reform des KapMuG allg: vgl Halfmeier DB 12, 2145; Schneider/Heppner BB 12, 2703; Bernuth/Kremer NZG 12, 890). Die Norm dient nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dem Zweck, durch Schaffung eines ausschließlichen Zuständigkeitstatbestandes eine Konzentration etwaiger Einzelverfahren an einem Gerichtsstand herbeizuführen, die aus Beschleunigungs- und Kostengründen die Einholung mehrerer Sachverständigengutachten zur gleichen Beweisfrage (möglichst) vermeidet (BTDrs 15/5091, 33). Die durch § 32b bewirkte Verfahrenskonzentration soll ferner die Vorbereitung eines etwaigen Musterverfahrens nach dem KapMuG ermöglichen (Vollkommer NJW 07, 3094, 3096; Schneider BB 05, 2249, 2250). Mit dem Gerichtsstand des § 32b soll des Weiteren durch die vom Erfolgsortprinzip abweichende Zuständigkeitsanknüpfung am Sitz des Unternehmens der etwaig erforderliche Zugriff auf Unternehmensdaten oder die verlautbarten Ad-hoc-Mitteilungen erleichtert werden (BTDrs 15/5091, 33). Die Geltung des reformierten KapMuG ist, anders als diejenige des neugefassten § 32b, bis zum 1.11.20 befristet gewesen (BGBl I 12, 2182) und gem § 28 idF des Art 1 des Gesetzes zur Änderung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes v 16.10.20 bis zum 31.12.23 verlängert worden (BGBl I 20, 2186). Die Neufassung des § 32b I diente va dem Zweck, den Wortlaut des § 32b an den Wortlaut des § 1 KapMuG nF anzupassen, da der Gesetzgeber beide Normen als aufeinander abzustimmende ›Einheit‹ versteht (BTDrs 17/8799, 27; Sustmann/Schmidt-Bendun NZG 11, 1207, 1213). In der Folge ist es – im Gegensatz zur früheren Rechtslage (BGHZ 77, 88; Kobl Beschl v 1.2.10 – 4 W 848/09 SmA, Rz 7 – juris) – auch möglich, Klagen wegen fehlerhafter Anlageberatung oder -vermittlung unter Verwendung falscher oder irreführender öffentlicher Kapitalmarktinformationen oder der Unterlassung der erforderlichen Aufklärung darüber, die also nur einen ›mittelbaren‹ Bezug zu öffentlichen Kapitalmarktinformationen haben, im Gerichtsstand des § 32b zu erheben, sofern sich die Klage zumindest auch gegen den betroffenen Emittenten, den betroffenen Anbieter oder die Zielgesellschaft richtet (BTDrs 17/8799, 14, 16 und 27; Hamm MDR 13, 871 f; Schneider/Heppner BB 12, 2703, 2706). Wer ›betroffen‹ ist, sollte sich nach der bisher vertretenen üA danach richten, wer der Emittent oder Anbieter ist, dessen Wertpapier oder sonstige Vermögensanlage Gegenstand der fehlgeschlagenen Kapitalanlage ist (Braunschw Beschl v 30.10.17 – 1 W 31/17, Rz 38 ff – juris). Nach aA sollte ›betroffen‹ iSv § 32b I Nr 1 der Emittent sein, der den Kapitalmarkt nach dem haftungsbegründenden Klagevorwurf fehlerhaft informiert hat oder eine gebotene Information des Kapitalmarkts unterlassen hat; dieser Auffassung hat sich nun der BGH mit eingehender Begründung angeschlossen (BGH, Beschl. v. 21.7.20 – II ZB 19/19, ZIP 20, 1879, Rz 31 ff – juris). Nicht entscheidend sei dagegen, welches Finanzinstrument Gegenstand der fehlgeschlagenen Kapitalanlage ist (Braunschw Beschl v 12.8.19 – 3 Kap 1/16, Rz 46 ff – juris). Bei mehreren wegen jeweils eigenständiger Publizitätspflichtverletzungen aufgrund desselben Kernsachverhalts ›betroffenen‹ Emittenten ist für jeden ein ausschließlicher Gerichtsstand an seinem Sitz begründet. Weder ist eine weitergehende Zuständigkeitskonzentration vorgesehen noch besteht ein Wahlrecht des Klägers. Eine darüber hinausgehende Bündelung der örtlichen Zuständigkeit in Fällen, in denen mehrere Emittenten mit Sitz an unterschiedlichen Gerichten verklagt werden, sieht § 32b Abs 1 Nr 1 nicht vor (BGH, Beschl v 21.7.20 – II ZB 19/19, ZIP 20, 1879, Rz 31, 41 ff – juris; Braunschw Beschl v 12.8.19 – 3 Kap 1/16, Rz 65 ff, 94 – juris; Braunschw Beschl v 30.10.17 – 1 W 31/17, Rz 60 ff – juris; Liebscher/Steinbrück WM 20, 359; zu Braunschw Beschl v 12.8.19: Sänger jurisPR-BKR 3/2020 Anm 4; Großerichter WuB 19, 639; Würdinger EWiR 19, 747; zu Braunschw Beschl v 30.10.17: Vollkommer EWiR 18, 127–128). Fallen im Anwendungsbereich von § 32b I der Sitz des Emittenten bzw. Anbieters einer sonstigen Vermögensanlage und der Sitz der Fondsgesellschaft auseinander, bejaht das KG ein Wahlrecht nach § 35 (Beschl v 9.5.16 – 2 AR 18/16, Rz 14 – juris; in Abgrenzung zu BGH Beschl v 8.12.15 – X ARZ 573/15, Rz 7 – juris). § 32b gilt auch im Falle von Feststellungsklagen (BGH Beschl v 5.11.15 – III ZB 69/14, Rz 21 – juris).

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