Rn 41

In bestimmten Fällen ordnet das Gesetz eine Erstreckung der Rechtskraft auf dritte Personen an, die nicht Rechtsnachfolger einer Partei sind. Die Wirkung kann sich dabei auf bestimmte einzelne Personen, einen in bestimmter Weise abgrenzbaren Personenkreis oder aber auf alle erstrecken, ohne dass es sich im letzten Fall um eine Gestaltungswirkung (s Rn 9) handelt.

1. Auf einzelne Personen.

 

Rn 42

Nach § 124 I VVG wirkt bei allen ab dem 1.1.08 abgeschlossenen neuen Versicherungsverträgen ein klageabweisendes Sachurteil, das zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer ergeht, immer auch zu Gunsten des Versicherungsnehmers; ein Urt zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer auch zu Gunsten des Versicherers. Für Altverträge treten die Vorschriften des neuen VVG erst zum 1.1.09 in Kraft. Die Regelung entspricht inhaltlich dem bis dahin nur für den Bereich der Pflichtversicherung geltenden § 3 Nr 8 PflVG, der mit Wirkung zum 1.1.08 aufgehoben wurde. Die Rspr bejaht im Bereich der KfZ-Haftpflichtversicherung eine Bindung auch dann, wenn Versicherungsnehmer und Versicherer gleichzeitig verklagt werden (BGH NJW 82, 996, 997; NJW-RR 03, 1327 [BGH 24.06.2003 - VI ZR 256/02]). Die Rechtskraftbindung bezieht sich nur auf das Verhältnis des Versicherers zum Versicherungsnehmer und gilt nur für klageabweisende, nicht auch für das der Klage gegen einen Gesamtschuldner stattgebende Urt (BGH NJW 13, 1163 [BGH 18.12.2012 - VI ZR 55/12]). Der Geschädigte ist nicht gehindert, nach rechtskräftiger Abweisung seiner Klage gegen den Versicherungsnehmer (Halter) gegen den mitversicherten Fahrer oder wegen seiner Haftung auch gegen die Versicherung klageweise vorzugehen (BGHZ 96, 18, 22 = NJW 86, 1610, 1611). Ein Vergleich löst die Bindungswirkung nicht aus (BGH NJW-RR 85, 22). Zu Lasten des Versicherers oder des Versicherungsnehmers findet keine Rechtskrafterstreckung auf Dritte statt (BGH NJW 71, 940 [BGH 03.03.1971 - IV ZR 134/69]). Diese für § 3 Nr 8 PflVG geltenden Grundsätze dürften auch für den neuen § 124 I VVG Geltung beanspruchen.

2. Auf einen bestimmten Personenkreis.

 

Rn 43

Aus Zweckmäßigkeitsgründen, insb zur Verhütung von Verwirrung durch widersprechende Entscheidungen, ordnet das Gesetz in einigen Fällen an, dass ein ggü einem Beteiligten ergangenes Urt für und gegen alle an dem streitigen Rechtsverhältnis materiell Beteiligten wirkt, zB für und gegen alle Pfandgläubiger in § 856 IV. Eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet erklärt wird, wirkt ggü dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern nach § 183 InsO. Die Eintragung in die Tabelle wirkt für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urt ggü dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern § 178 III InsO. Ein nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens zugunsten des Schuldners ergangenes Urt über eine Masseverbindlichkeit wirkt nicht zugunsten des persönlich in Anspruch genommenen Insolvenzverwalters (BGH NZI 22, 472 [BGH 17.03.2022 - IX ZR 216/20] Rz 25). Ein rechtskräftiges Urt, durch das bei einer AG ein Hauptversammlungsbeschluss oder die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung für nichtig erklärt wird, wirkt nach §§ 248, 252 AktG für und gegen alle Aktionäre, den Vorstand und den Aufsichtsrat (BGHZ 132, 278, 285; Fleischer/Eschwey DB 18, 810, 815) bzw für und gegen alle Genossen nach §§ 51 V, 96, 111 GenG, Gesellschafter § 75 II GmbHG. Für Klagen nach § 48 III WEG aF war umstritten, ob eine über § 325 hinausgehende Rechtskrafterstreckung (hM umf dazu Schlecht/Skauradszun NZM 2013, 57) oder ein Fall der Interventionswirkung vorliegt (Lehmann-Richter ZWE 14, 385 mwN). Die Neuregelung in § 44 III WEG trifft eine differenzierte Regelung. Sie erstreckt die subjektive Rechtskraft sowohl eines der Klage stattgebenden als auch diese abweisenden Urteils in Beschlussklageverfahren auf alle Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger. Urteile in anderen Verfahren wirken dagegen, anders als nach geltendem Recht, nur in den Grenzen des § 325 für und gegen nicht an dem Prozess beteiligte Dritte (BTDrs 19/18791, 83f).

3. Auf alle.

 

Rn 44

Urteile in Kindschaftssachen, die das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses oder die elterliche Sorge betreffen (Statussachen), wirken kraft gesetzlicher Anordnung in § 184 II FamFG für und gegen alle.

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