Rn 11

Die Frage der Rechtzeitigkeit hat das Gericht vAw zu klären, selbst wenn die Fristversäumung unstr ist (zur Fristwahrung durch Einreichung einer handschriftlich beglaubigten Kopie eines fristgebundenen Schriftsatzes BGH NJW 12, 1738 [BGH 26.03.2012 - II ZB 23/11]; bei Unterzeichnung ›i.V.‹ BGH MDR 12, 796 [BGH 26.04.2012 - VII ZB 83/10]; bei Unterzeichnung durch einen RA nach nicht rechtskräftigem Widerruf der Zulassung BGH NJW 12, 2592 oder mit dem auf einen anderen RA hinweisenden Zusatz ›nach Diktat außer Haus‹ BGH MDR 12, 114). Stellt sich heraus, dass die Frist entgegen der Annahme der Parteien gewahrt ist, ist der Wiedereinsetzungsantrag ohne weiteres gegenstandslos und über ihn nicht zu entscheiden (BGHZ 165, 318, 324). Das Gericht ist bei dieser Prüfung nicht an die förmlichen Beweismittel der ZPO gebunden, es gilt – wie allgemein bei Amtsprüfung – das Freibeweisverfahren. Hieran hat auch § 284 S 2 nichts geändert, denn diese Vorschrift erweitert lediglich – für den Fall des Einverständnisses beider Parteien – den Anwendungsbereich des Freibeweises auf die der Parteidisposition unterliegende Beweisaufnahme (anders Zö/Greger § 284 Rz 1: Freibeweis generell nur noch im Einverständnis der Parteien zulässig). Auch eine von der Partei vorgelegte eidesstattliche Versicherung kann mithin bei der Frage der rechtzeitigen Vornahme einer fristgebundenen Handlung berücksichtigt werden. Allerdings muss der volle Beweis für die rechtzeitige Handlung erbracht werden, dh wenn dem Gericht die eidesstattliche Versicherung nicht ausreicht, hat es die Partei darauf hinzuweisen und ihr Gelegenheit zu weiterem Beweisantritt, etwa Benennung von Zeugen zu geben (BGH NJW 00, 814 [BGH 07.12.1999 - VI ZB 30/99]). Macht die Partei geltend, den Schriftsatz rechtzeitig in den Nachtbriefkasten geworfen zu haben, hat das Gericht dienstliche Äußerungen der für die Leerung des Briefkastens zuständigen Beamten über seine Funktionstüchtigkeit einzuholen (BGH WuM 11, 176). Jedenfalls darf das Gericht nicht Wiedereinsetzung ablehnen, ohne die Frage der Fristversäumung zuvor zu klären. Umgekehrt kann das Gericht von einer Beweisaufnahme über die Rechtzeitigkeit Abstand nehmen und aus Gründen der Verfahrensvereinfachung sogleich Wiedereinsetzung gewähren, wenn deren Voraussetzungen offenbar gegeben sind (BGH NJW-RR 02, 1070, 1071 [BGH 27.02.2002 - I ZB 23/01]). Zu den Besonderheiten bei gemeinsamer Faxannahmestelle mehrerer Gerichte vgl BGH NJW-RR 13, 830 [BGH 23.04.2013 - VI ZB 27/12].

a) Unvollständiges Rechtsmittel.

 

Rn 12

Trotz Wahrung der Rechtsmittelbegründungsfrist kommt Wiedereinsetzung ausnahmsweise in Betracht, wenn eine Rechtmittelbegründungsschrift ohne Verschulden des Rechtsmittelführers nicht vollständig übermittelt wurde (BGH NJW 00, 364 [BGH 18.11.1999 - III ZR 87/99]: Fehlen einzelner Seiten aufgrund eines Versehens einer bisher zuverlässigen Bürokraft); iÜ kann Wiedereinsetzung aber grds nicht zur Ergänzung einer wirksam (fristgerecht) eingereichten, jedoch inhaltlich tw unzureichenden Begründung gewährt werden (etwa zur Nachholung von Verfahrensrügen BGH NJW 97, 1309 [BGH 13.02.1997 - III ZR 285/95], aA Zö/Greger Rz 9).

b) Prüfungsumfang des Gerichts.

 

Rn 13

Das Gericht darf sich nicht mit der Feststellung begnügen, dass ein fristgebundener Schriftsatz nicht zu den Akten gelangt ist, denn die Frist ist bereits dann gewahrt, wenn der Schriftsatz rechtzeitig in den Empfangsbereich des Gerichts gelangt ist, also vor Fristablauf in den Briefkasten des Gerichts geworfen wurde. Kann dies festgestellt werden, so ist die Frist gewahrt, auf einen anschließenden – im Einzelfall durchaus möglichen – Verlust im Geschäftsgang kommt es nicht mehr an. Rechtzeitig eingegangen ist ein fristgebundener Schriftsatz auch dann, wenn er in den Abendstunden am Tag des Fristablaufs nicht in einen Nachtbriefkasten, sondern in einen sonstigen Briefkasten des Gerichts eingeworfen wird (vgl BVerfG NJW 91, 2076, 2077 [BVerfG 07.05.1991 - 2 BvR 215/90]); das gleiche gilt für einen Schriftsatz, der bis 24.00 Uhr in ein Postfach des Gerichts eingelegt wird (BGH NJW 86, 2646 [BGH 19.06.1986 - VII ZB 20/85]). Genügt dem Gericht die eidesstattliche Versicherung des RA, er habe den Schriftsatz persönlich am letzten Tag der Frist in den Gerichtsbriefkasten geworfen, nicht zur Wiedereinsetzung, hat es den RA als Zeugen zu vernehmen (BGH NJW-RR 10, 217 [BGH 11.11.2009 - XII ZB 174/08]). Trägt die Partei vor, dass der fristgebundene Schriftsatz rechtzeitig in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen wurde, muss das Gericht Nachforschungen bei der Eingangsstelle vornehmen, ggfs Gelegenheit dazu geben, die Person, die den Schriftsatz eingeworfen haben soll, als Zeugen zu benennen usw. Ähnlich verhält es sich, wenn die Partei geltend macht, ein Schreiben sei rechtzeitig gefaxt, wie aus dem Faxprotokoll auf der Rückseite des Schreibens ersichtlich. In einem solchen Fall sollte auf einen Abgleich mit dem Empfangsprotokoll des Faxgeräts im Gericht gedrängt werden, denn korrespondierende Daten auf Sende- und Empfangsgerät können – in...

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