Rn 1

Das Bedürfnis einer einheitlichen Regelung der Rechtsangelegenheiten von Kaufleuten und ihrer Entscheidung war im 19. Jahrhundert ein Antriebsfaktor der Rechtsvereinheitlichung in Deutschland. Das fand seinen Niederschlag auch in der Gerichtsstruktur des Deutschen Reiches. Waren zunächst für die erste Instanz nach dem Vorbild einiger Länder eigene Handelsgerichte vorgesehen, kam es unter Hinweis auf den anglo-amerikanischen Rechtsraum zu der heutigen Konstruktion, dass Kammern für Handelssachen (KfH) als besondere Kammern des LG innerhalb dessen Zuständigkeit eingerichtet werden können (vgl iE Kissel/Mayer Rz 1 f mwN; MüKoZPO/Pabst Rz 1; Froehner NZI 16, 1; Windel AnwBl Online 19, 105). Für die Einbeziehung von Kaufleuten und ihre Verzahnung mit Berufsrichtern (vgl § 105) in den KfH spricht, dass sie einer Entfremdung von Justiz und Gesellschaft entgegensteuert (hierzu: Kulhanek ZRP 15, 155). Auch andere Länder in Europa verfügen über eine spezifisch auf die Bedürfnisse des Handels zugeschnittene Gerichtseinrichtung (zum Vergleich mit Frankreich: Fleischer/Danninger RIW 17, 549; dies ZIP 17, 205; auch: Fleischer/Bong/Cools RabelsZ 81, 608 zur Sonderkompetenz Gesellschaftsrecht). Erwägenswert sind Überlegungen, ob eine sachbezogene Auswahl der Handelsrichter für einzelne Verfahren (›Matching‹, § 109 Rn 3) oder die Einrichtung von Spezialsenaten bei den Oberlandesgerichten eine Belebung des Handelsrichterprinzips zur Folge haben können (vgl Fleischer/Danninger ZIP 17, 205).

 

Rn 2

Aktuell werden modellartig internationale KfH erprobt (vgl Braunbeck DRiZ 10, 130 zu BRDrs 42/10; Kummermehr NJ 11, 195; Salger AnwBl 12, 40; Melin BB 20, 2702; Riehm/Thomas NJW 22, 1725), die sich va durch die Verhandlungsführung in englischer Sprache abheben sollen. Diese Versuche sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass im internationalen Bereich die private Schiedsgerichtsbarkeit an Bedeutung gewonnen hat (vgl Hoffmann SchiedsVZ 10, 96). Bisher erfolglos hat der Bundesrat 2010 (BTDrs 17/2163), 2014 (BTDrs 18/1287), 2018 (BRDrs 53/18; BTDrs 19/1717) und 2021 (BRDrs 219/21; BTDrs 19/30745) Entwürfe auf den Weg gebracht, um im Wege einer Öffnungsklausel den Ländern die Einrichtung solcher ›internationaler‹ KfH zu ermöglichen. Daran knüpft ein Bundesratsentwurf aus dem Jahr 2022 an (BRDrs 79/22; BTDrs 20/1549). Auch auf der Ebene des OLG werden ›Commercial Courts‹ vorgeschlagen.

 

Rn 3

Die KfH ist kein eigenständiges Gericht, sondern eine besonders besetzte Zivilkammer (§ 60 Rn 3) des LG. Das Verhältnis zu den anderen Zivilkammern wirft damit keine Fragen einer sachlichen Zuständigkeit auf, sondern solche der funktionellen (§ 94 Rn 1).

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