Gesetzestext

 

(1) In Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs soll das Gericht mit den Eltern und in geeigneten Fällen auch mit dem Kind erörtern, wie einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls, insbesondere durch öffentliche Hilfen, begegnet werden und welche Folgen die Nichtannahme notwendiger Hilfen haben kann.

(2) Das Gericht hat das persönliche Erscheinen der Eltern zu dem Termin nach Absatz 1 anzuordnen. Das Gericht führt die Erörterung in Abwesenheit eines Elternteils durch, wenn dies zum Schutz eines Beteiligten oder aus anderen Gründen erforderlich ist.

(3) In Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat das Gericht unverzüglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu prüfen.

A. Allgemeines.

 

Rn 1

Die Vorschrift entspricht nahezu wortgleich den aufgrund des Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (v 4.7.08, BGBl I, 1188) mit Wirkung zum 12.7.08 in das FGG aufgenommenen §§ 50e IV, 50f FGG aF. Hintergrund der Regelung ist das Bestreben, den Schutz gefährdeter Kinder zu verbessern. Zur Verwirklichung eines effektiven Konzepts zum Schutz von Kindern sollen die Familiengerichte frühzeitiger eingeschaltet und der Fokus auf weniger eingriffsintensive Maßnahmen als den vollständigen oder teilweisen Entzug der elterlichen Sorge gerichtet werden. Wesentliches Ziel der Erörterung bei Gericht soll sein, ›die Beteiligten – Eltern, Jugendamt und in geeigneten Fällen auch das Kind – an einen Tisch zu bringen, um stärker auf die Eltern und erforderlichenfalls auch auf das Kind einwirken zu können. Es ist Aufgabe der Gerichte, in diesem Gespräch den Eltern den Ernst der Lage vor Augen zu führen, auf mögliche Konsequenzen hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass die Eltern notwendige Leistungen der Jugendhilfe annehmen und mit dem Jugendamt kooperieren‹ (BTDrs 16/6815, 7).

B. Die Vorschrift im Einzelnen.

I. Erörterung der Kindeswohlgefährdung nach Abs 1 und Abs 2.

1. Verfahrensrechtliche Einordnung.

 

Rn 2

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers bildet die Erörterung der Kindeswohlgefährdung einen eigenen Verfahrensabschnitt, der neben die Pflicht zur persönlichen Anhörung der Eltern nach § 160 I 2 und den frühen Erörterungstermin nach § 155 II tritt. Das Gericht hat die Möglichkeit, die Erörterung nach § 155 II mit dem Gespräch zur Erörterung über die Kindeswohlgefährdung zu verbinden (BTDrs 16/6308, 237). Das Gespräch zur Erörterung über die Kindeswohlgefährdung ist letztlich ein Termin ›eigener Art‹ iSv § 32. Die Abgrenzung zu einem auch in Verfahren nach § 1666 BGB anzuberaumenden frühen Erörterungstermin nach § 155 II ist nicht ganz klar, da es in Kindesschutzverfahren darum geht, zunächst gemeinsam mit den Eltern einen Weg zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zu erarbeiten. Praktisch relevant ist die Unterscheidung zwischen beiden Verfahrensabschnitten aber dann, wenn das Gericht im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens ausnahmsweise von einer Erörterung nach § 157 absieht. Der Termin nach § 155 II ist gleichwohl durchzuführen.

 

Rn 3

Auch die in § 160 I 2 vorgesehene Anhörung der Eltern ist von der Erörterung iSv § 157 zu unterscheiden. Sie dient in erster Linie der nach § 26 gebotenen Sachaufklärung, aber auch der Gewährung rechtlichen Gehörs. Dabei ist die Anhörung der Eltern nur ein Teil der vom Gericht zu leistenden Sachaufklärung und ist damit (auch) Voraussetzung für eine sinnvolle Erörterung, die über eine Anhörung hinausgeht (Frankf FamRZ 12, 571).

2. Erforderlichkeit eines Erörterungstermins.

 

Rn 4

Ein nach Abs 1 S 1 anzuberaumender Termin zur Erörterung erfolgt im Rahmen eines Verfahrens nach §§ 1666 und 1666a BGB und setzt das Vorliegen einer ›möglichen Kindeswohlgefährdung‹ voraus. Unklar ist, ab wann von einer solchen möglichen Kindeswohlgefährdung gesprochen werden kann. Die Gesetzesbegründung nimmt in diesem Zusammenhang auf die in § 8a SGB VIII geregelte Anrufung des Gerichts durch das Jugendamt Bezug (BTDrs 16/6308, 237). Der Schutzauftrag des Jugendamts setzt in § 8a I 1 SGB VIII ›gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen‹ voraus. Begreift man die Vorschrift des § 157 als das funktionale Äquivalent zu § 8a SGB VIII auf jugendhilferechtlicher Ebene (ausdr Staud/Coester § 1666, Rz 265), muss mithin zumindest ein ›Anfangsverdacht‹ in diesem Sinne gegeben sein (Prütting/Helms/Hammer § 157 Rz 5, 8; Heilmann/Heilmann § 157 Rz 1; vgl auch MüKoFamFG/Schumann § 157 Rz 5 mwN: Fälle ›an der Grenze zur Kindeswohlgefährdungsschwelle‹; ThoPu/Hüßtege § 157 Rz 2: Kindeswohlgefährdung muss ›naheliegen‹; Haußleiter/Eickelmann § 154 Rz 5; Sternal/Schäder § 157 Rz: ›unterhalb der Schwelle zur Kindeswohlgefährdung‹; ebenso BTDrs 16/6308, 237; Frankf FamRZ 10, 1094; Saarbr FamRZ 12, 1157; wohl weitergehend Dutta/Jacoby/Schwab/Zorn § 157 Rz 6: ›nur mögliche Gefährdung‹; Flemming FPR 09, 568, 571: ›weit vor einer Eingriffssituation‹).

 

Rn 5

Erfährt das Gericht ausnahmsweise nicht durch eine Gefährdungsanzeige des Jugendamts von einem nicht hinreichend konkreten Sachverhalt, aus dem sich eine Kindeswohlgefährdung ergeben soll, kann es zunächst in eine formlose Vorprüfung eintreten (zB bei ...

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