Rn 10

Dieses autonom auszulegende Merkmal beruht auf den Gesichtspunkten der Sach- und Beweisnähe (EuGH Slg 04, I-6009 Rz 15; C-12/15 Rz 26), ohne dass es auf deren Feststellung im Einzelfall ankommt. Allerdings ist jede ausdehnende Anwendung abzulehnen (EuGH C-51/97 Rz 16 u 29; C-228/11 Rz 54; C-387/12 Rz 26; C-12/15 Rz 25). Es erfasst unerlaubte Handlungen und gleichgestellte Fälle. Darunter fallen in Abgrenzung zu Nr 1 alle Fälle der nicht freiwillig eingegangenen und auf Schadensersatz gerichteten Pflichten (EuGH Slg 88, 5566 = ECLI:EU:C:1988:459; Slg 05, I-481 Rz 29), etwa die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss, urheberrechtliche Ansprüche auf ›gerechten Ausgleich‹ iSd Art 5 II lit b RL 2001/29 (EuGH C-572/14) oder negatorische Abwehr- oder Unterlassungsansprüche (nicht: die Gläubigeranfechtungsklage des französischen Rechts, EuGH Slg 92, I-2149), eine gesetzliche Organhaftung bei Gesellschaften für Unterkapitalisierung oder Insolvenzverschleppung (EuGH C-147/12) ebenso wie eine allgemeine deliktsrechtliche Haftung in derartigen Fällen (vgl EuGH ECLI:EU:C:2022:173), ein Nebenanspruch auf Auskunft (BGH RIW 15, 451) sowie sonstige Verfahren (EuGH Slg 04, I-1417), in denen die Rechtmäßigkeit eines potenziell deliktischen Verhaltens geklärt werden soll, etwa im Wettbewerbsrecht (BGH RIW 15, 451; franz Cour de Cassation, no 48 v 18.1.11, 10–11.885), im Kartellrecht (EuGH C-59/19 = ECLI: EU:C:2020:950; BGH RIW 11, 564) oder im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen (EuGH Slg 02, I-7357), ferner, wenn die Klage sich auf ein Delikt gründet, durch das eine Partei zu einem Vertragsabschluss verlasst wurde (BGH NJW 21, 2977 [BGH 20.07.2021 - VI ZR 63/19]). Auf einen tatsächlichen Schadenseintritt kommt es nicht an; schadensabwendende Maßnahmen des Beklagten schließen jedenfalls die Zuständigkeit nicht aus (EuGH Slg 04, I-1417). Das soll auch für verbraucherrechtliche Unterlassungsklagen gelten (EuGH Slg 02, I-8111; BGH NJW 09, 3371 [BGH 09.07.2009 - Xa ZR 19/08]). Auch negative Feststellungsklagen fallen unter die Vorschrift (EuGH C-133/11). Die zugrunde liegende Rechtsmaterie ist nicht von Bedeutung; erfasst werden etwa Urheber- und gewerbliche Schutzrechtsverletzungen (BGH EuZW 10, 313 [BGH 10.11.2009 - VI ZR 217/08]).

 

Rn 11

Maßgebend für die Zuständigkeit sind Tat und Verletzungserfolg; eine Abtretung des entstandenen Schadensersatzanspruchs ist deshalb bedeutungslos (EuGH C-147/12). Bei Distanzdelikten umfasst der Ort der unerlaubten Handlung nach dem Ubiquitätsprinzip sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort (EuGH Slg 76, 1735; ferner zB C-343/19 = ECLI:EU:C:2020:534 Rz 23). Dabei wird der Handlungsort in unionsrechtlicher Terminologie meist als ›Ort des ursächlichen Ereignisses‹ und der Erfolgsort als ›Schadensort‹ bezeichnet. Unter die Distanzdelikte fallen bspw die grenzüberschreitende Luft- und Wasserverschmutzung oder die grenzüberschreitende Produkthaftung. Handlungsort ist der Ort der Vornahme der schadensursächlichen Handlung (EuGH Slg 04, I-1417). Bei der Produkthaftung soll dieser aus Gründen der Vorhersehbarkeit am Herstellungsort, nicht am Ort des Inverkehrbringens liegen (EuGH C-189/08 Rz 13; C-45/13; östOGH 26.2.14, 7 Ob 19/14s). Bei Kartelldelikten liegt er sowohl am Ort der definitiven Kartellgründung als auch ggf am Ort der für den Schaden ausschließlich ursächlichen konkreten Absprache (EuGH C-352/13). Erfolgsort ist der Ort der Beeinträchtigung des unmittelbar verletzten Interesses (also: der Rechtsgutsverletzung), nicht der Ort, an dem die weiteren Schadensfolgen oder bloße Folgeschäden eintreten (EuGH Slg 90, I-49; Slg 95, I-2719; C-189/08; C-12/15 Rz 34; BGHZ 176, 342: schädliche Nebenwirkung eines Medikaments). Diese Maßgabe gilt auch dann, wenn der zugrunde liegende Deliktstatbestand nach dem anwendbaren Sachrecht keine Rechtsgutsverletzung, sondern nur einen Schadenseintritt voraussetzt. Nach dem Sinn der zitierten Rspr wird man auch insoweit eine Lokalisierung am Ort des unmittelbar verletzten Interesses, zB der Personen- oder Sachbeschädigung (einschließlich Weiterfresserschäden), vornehmen müssen, ohne dass es auf die weiteren Schadensfolgen ankommt (EuGH Slg 95, I-2719;C-189/08; C-147/12). Liegt der Schaden im Abschluss eines nachteiligen Vertrags über den Erwerb von Waren, die infolge unerlaubten Herstellerhandelns im Wert gemindert sind, liegt der Erfolgsort am Ort des Erwerbs (EuGH C-343/19 = ECLI:EU:C:2020:534). Diese Lösung gilt auch, soweit im Anwendungsbereich des Art 101 AEUV infolge eines Kartells Gegenstände zu überhöhten Preisen erworben werden (EuGH C-30/20 = ECLI:EU:C:2021:604 Rz 40). Werden die Gegenstände an unterschiedlichen Orten erworben, kommt es auf den Sitz des geschädigten Unternehmens an (EuGH C-30/20 = ECLI:EU:C:2021:604 Rz 40). Bei Kartelldelikten ist iÜ im Falle von Art 101 AEUV auf den Marktort abzustellen (dh den Ort, an dem die Marktpreise verfälscht wurden, EuGH C451/18).

Bei Marktmissbrauch wird der Sitz des verletzten Unternehmens maßgebend se...

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