Gesetzestext

 

Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

1. ›Gericht‹ alle Behörden der Mitgliedstaaten, die für Rechtssachen zuständig sind, die gemäß Artikel 1 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen;
2. ›Richter‹ einen Richter oder Amtsträger, dessen Zuständigkeiten denen eines Richters in Rechtssachen entsprechen, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen;
3. ›Mitgliedstaat‹ jeden Mitgliedstaat mit Ausnahme Dänemarks;
4. ›Entscheidung‹ jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe sowie jede Entscheidung über die elterliche Verantwortung, ohne Rücksicht auf die Bezeichnung der jeweiligen Entscheidung, wie Urteil oder Beschluss;
5. ›Ursprungsmitgliedstaat‹ den Mitgliedstaat, in dem die zu vollstreckende Entscheidung ergangen ist;
6. ›Vollstreckungsmitgliedstaat‹ den Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung vollstreckt werden soll;
7. ›elterliche Verantwortung‹ die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht;
8. ›Träger der elterlichen Verantwortung‹ jede Person, die die elterliche Verantwortung für ein Kind ausübt;
9. ›Sorgerecht‹ die Rechte und Pflichten, die mit der Sorge für die Person eines Kindes verbunden sind, insbesondere das Recht auf die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes;
10. ›Umgangsrecht‹ insbesondere auch das Recht, das Kind für eine begrenzte Zeit an einen anderen Ort als seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zu bringen;
11.

›widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes‹ das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes, wenn

a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes oder aufgrund einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats besteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
b) das Sorgerecht zum Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, wenn das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Von einer gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts ist auszugehen, wenn einer der Träger der elterlichen Verantwortung aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes nicht ohne die Zustimmung des anderen Trägers der elterlichen Verantwortung über den Aufenthaltsort des Kindes bestimmen kann.
 

Rn 1

Diese Vorschrift enthält zahlreiche Definitionen, die für die Auslegung der Verordnung wichtig und zu diesem Zweck – ebenso wie die Erwägungsgründe – heranzuziehen sind. Die Begriffsbestimmungen sind weitgehend selbsterklärend. Nr 4 erfasst nur gestaltende, nicht antragsabweisende Entscheidungen (einschränkend NK-BGB/Gruber Art 2 Rz 2: lediglich die die Scheidung abweisenden Entscheidungen). Diese können aber freilich nach dem für das angerufene Gericht maßgeblichen nationalen Recht anerkennungsfähig sein. Nr 7 umfasst richtiger Auffassung zufolge keine rein feststellenden (also nicht rechtsgestaltenden) Sorgerechtsentscheidungen (vgl OGH Wien IPRax 10, 542 [BGH 11.02.2009 - XII ZB 101/05]; Bespr Hohloch IPRax 10, 567 mwN auch zur Gegenmeinung). Der Begriff der ›elterlichen Verantwortung‹ ist weit auszulegen (EuGH FamRZ 19, 1989; Anm Dimmler FamRB 20, 49; EuGH FamRZ 12, 1466 Rz 59 = ECLI:EU:C:2012:255: Sorgerecht, das durch eine Behörde ausgeübt wird; EuGH FamRZ 15, 2117, Rz 29: Antrag auf Zustimmung der Ersetzung zur Ausstellung eines Reisepasses auch bei Mitwirkung einer Verwaltungsbehörde; EuGH FamRZ 15, 2035: Genehmigung einer Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung durch Verfahrenspfleger; EuGH FamRZ 19, 56: Rückgabeanordnung; Anm Dimmler FamRB 19, 99). Dem Begriff des ›Trägers der elterlichen Verantwortung‹ in Nr 8 unterfallen nicht nur die Eltern, sondern auch ein Vormund oder Pfleger sowie juristische Personen (bspw das Jugendamt). Personen, denen lediglich ein Umgangsrecht zusteht, sind keine Träger der elterlichen Verantwortung (Stuttg FamRZ 01, 645). Bezüglich Nr 10 war streitig, ob nur das Umgangsrecht der Eltern oder auch das sonstiger Verwandter (nach deutschem Recht: § 1685 BGB) erfasst wird. Der EuGH (FamRZ 18, 1083; Anm Dimmler FamRB 18, 308) geht von einem weiten Verständnis dieser Ziff aus, weshalb bspw auch der Großmutter ein Umgangsrecht zusteht. Nr 11 lit b S 2 erweitert Art 3 HKÜ: Anders als nach dem HKÜ ist deshalb in Fällen, in denen die Brüssel IIa-Verordnung anwendbar ist, auch dann von einem widerrechtlichen Verbringen bzw Zurückhalten auszugehen, wenn der zurückgelassene Elternteil das Sorgerecht de facto nicht mehr ausübt, aber de iure weiterhin über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind mitentscheiden kann (so...

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