Rn 2

Abs 1 erfasst die Herbeiführung der Zuständigkeit des Scheidungsgerichts für die Sorgerechtsentscheidung. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Scheidung erst nachträglich anhängig wird und die Sache betreffend die elterliche Verantwortung als Folgesache in den Scheidungsverbund fällt (so aber Karlsr NJW-RR 04, 1084; dagegen zu Recht NK-BGB/Gruber Art 12 Rz 4; Gruber IPRax 04, 507 [OLG Karlsruhe 16.08.2003 - 18 UF 171/02]). Hiergegen streiten entscheidend der Wortlaut der Norm, aber auch verfahrensökonomische Gründe.

Folgende Bedingungen müssen außerdem für die Verbundzuständigkeit vorliegen:

  • Zumindest ein Ehegatte muss die elterliche Verantwortung für das Kind haben (vgl dazu weiter Art 16 KSÜ: Sorgerechtserwerb und Schutz vor Sorgerechtsverlust ex lege!).
  • Der Richter muss feststellen, ob zu dem Zeitpunkt, zu dem er angerufen wird, alle Träger elterlicher Verantwortung die Zuständigkeit des Scheidungsgerichts formell oder durch eindeutiges Verhalten anerkennen. Umstr ist allerdings, ob es sich bei der Anerkennung um eine echte Gerichtsstandsvereinbarung oder um ein Institut sui generis handelt (zum Meinungsstand Reuß in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens, Europa als Taktgeber für das Internationale Familienrecht, 2022, S 33, 35). Angesichts des Wortlauts liegt eine echte Gerichtsstandsvereinbarung nahe.
  • Eine automatische Zuständigkeit über Fragen der elterlichen Verantwortung besteht allerdings nicht, auch nicht im Falle der Zuständigkeit des Gerichts in Ehesachen nach Art 3 lit b (EuGH FamRZ 19, 1989 Anm Dimmler FamRB 20, 49). Fraglich ist, wie das sog rügelose Einlassen eines Elternteils zu würdigen ist. Nachdem – anders als noch in der Brüssel II-Verordnung – jetzt eine Anerkennung auf ›eindeutige Weise‹ erforderlich ist, wird das Gericht zumindest explizit nachfragen müssen. Hierfür spricht auch ein Umkehrschluss zu Art 9 II, wo ausdrücklich die rügelose Einlassung als zuständigkeitsbegründend angesehen wird (s Art 9 Rn 3). Zurückhaltung ist auch deshalb geboten, weil die Einführung einer Gerichtsstandsvereinbarung in das Verfahren bis zuletzt unter den Mitgliedstaaten sehr umstr war. Der EuGH lässt allerdings als eindeutiges Anerkennen bereits ein stillschweigendes Einverständnis im Zeitpunkt der ersten im Verfahren obliegenden Handlung genügen (EuGH FamRZ 18, 1015; Anm Dimmler FamRB 18, 262; Anm Heiderhoff IPRax 19, 213, auch zur etwaigen Beteiligung des Jugendamts). In jedem Fall muss der Antragsgegner zumindest Kenntnis des laufenden Verfahrens besitzen (EuGH FamRZ 15, 2117 Rz 42), wobei die Kenntnis eines nicht mit dem Antragsgegner in Kontakt stehenden Vertreters nicht genügt (EuGH FamRZ 15, 2117 Rz 43). Ein eindeutiges Anerkennen ist überdies zu verneinen, sofern ein Elternteil ein Verfahren hinsichtlich der elterlichen Verantwortung im selben Mitgliedstaat, in dem bereits der andere Elternteil ein Verfahren angestrengt hatte, anhängig macht, sofern er mit der ersten vorzunehmenden Verfahrenshandlung die internationale Unzuständigkeit rügt (EuGH NJW 15, 40; Anm Dimmler FamRB 15, 96; Anm Andrae IPRax 15, 212); in diesem Fall ist ein hilfsweises Einlassen unschädlich (Stuttg NJW 12, 2043). Umstritten ist auch, ob die Anerkennung der Zuständigkeit bei Beginn des Verfahrens erklärt werden kann oder auch noch später, solange das Verfahren noch anhängig ist. Der eindeutige Wortlaut ›zum Zeitpunkt der Anrufung‹ lässt nur das engere Verständnis zu (ausdr EuGH NJW 15, 40; EuGH FamRZ 15, 2117 Rz 40; vgl auch ThoPu/Hüßtege Art 12 Rz 12; aA Ddorf FamRZ 10, 915; NK-BGB/Gruber Art 12 Rz 8; Hausmann Art 12 Rz F 204), auch wenn verfahrensökonomische Aspekte für die Gegenansicht streiten mögen.
  • Die Zuständigkeit dieses Gerichts muss dem Wohl des Kindes dienen. Diese Einschränkung ist wichtig, weil das Einverständnis der Eltern nicht unbedingt kindeswohlorientiert sein muss. Es wird hier va darauf ankommen, ob es dem Kind zugemutet werden kann, zu einer persönlichen Anhörung im anderen Staat zu reisen und ob und welche weiteren Belastungen für das Kind dadurch entstehen können, dass das Verfahren nicht an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort (s dazu Art 8 Rn 2) durchgeführt wird. Letzteres wird auch die Sprachenfrage anbetreffen, also ob etwa das Kind mit einem Dolmetscher angehört werden müsste (vgl NK-BGB/Gruber Art 12 Rz 9; ThoPu/Hüßtege Art 12 Rz 6). Nicht zuletzt kann auch die Frage bedeutsam sein, ob das Ehegericht das soziale Umfeld hinreichend zeitnah wird ermitteln können; regelmäßig wird das im Aufenthaltsstaat des Kindes einfacher sein. Im Regelfall wird zumindest eine ausdrückliche Vereinbarung den Interessen des Kindes gerecht werden (vgl Ddorf FamRZ 10, 915).
 

Rn 3

Eine so begründete Zuständigkeit endet aber gem Abs 2,

  • sobald das Scheidungsurteil/der Scheidungsbeschluss – nach jeweiligem nationalen Recht – rechtskräftig geworden ist, bevor ein Verfahren hinsichtlich der elterlichen Verantwortung anhängig gemacht worden ist (vgl Rauscher/Rauscher Art 12 Rz 29) oder
  • eine rechtskräfti...

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