Entscheidungsstichwort (Thema)

Familiengerichtliche Genehmigung einer Erbausschlagung

 

Leitsatz (amtlich)

Legt es der Altersunterschied zwischen Erblasser und dem zu dessen gesetzlichem Erben berufenen minderjährigen Kind nahe, dass das Kind seine Erbenstellung infolge der Ausschlagung vorrangig berufener Erben erlangt haben könnte, so darf das Familiengericht die Genehmigung für die vom gesetzlichen Vertreter für das Kind wegen mutmaßlicher Überschuldung des Nachlasses abgegebene Ausschlagungserklärung nicht ohne Heranziehung der Nachlassakten und ohne weitere Ermittlungen zu den Gründen erfolgter Erbausschlagungen versagen.

 

Normenkette

BGB § 1642 Abs. 2 S. 1, § 1697a; FamFG §§ 26, 151 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

AG Kusel (Beschluss vom 09.03.2016; Aktenzeichen 1 F 605/15)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Kusel vom 9.3.2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

3. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung bewilligt.

Zur Wahrnehmung seiner Rechte wird ihm der von ihm ausgewählte Rechtsanwalt T.zu den Bedingungen eines im Bezirk des Pfälzischen Oberlandesgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet.

 

Gründe

I. Mit Erklärung vom 5.6.2015 hat die alleinsorgeberechtigte Kindesmutter als gesetzliche Vertreterin des minderjährigen Antragstellers die Erbschaft für diesen nach der am 23.3.2015 O. verstorbenen Frau I. M., geborene K., geboren am 17.1.1933, ausgeschlagen und zugleich die familiengerichtliche Genehmigung der Ausschlagung beantragt.

Das Familiengericht hat nach Einholung schriftlicher Auskünfte vom zuständigen Nachlass-, Vollstreckungs- und Insolvenzgericht sowie vom Sozial- und Grundbuchamt die beantragte Genehmigung versagt. Eine Überschuldung des Nachlasses habe nicht festgestellt werden können. Die Erblasserin habe weder Sozialleistungen erhalten noch sei sie im Schuldnerverzeichnis eingetragen. Sie hinterlasse vielmehr eine Mitbeteiligung an lastenfreiem Grundbesitz.

Mit der Beschwerde wird das Genehmigungsbegehren weiterverfolgt. Der Nachlass sei derzeit nicht betragsmäßig zu beziffern. Es sei lediglich das Anwesen in O.. vorhanden. Dieses sei jedoch baufällig und müsse grundsaniert werden, so dass dem Nachlass keine objektiver Wert zugemessen werden könne. Die Erbschaft sei deshalb nicht wirtschaftlich vorteilhaft.

Das Familiengericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Der Senat hat die Nachlassakten 15 VI 271/15 AG O. beigezogen.

II. Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist verfahrensrechtlich bedenkenfrei, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 59 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 3, 64 Abs. 1 und 2 FamFG).

In der Sache hat das Rechtsmittel einen vorläufigen Erfolg.

Die erstinstanzliche Entscheidung ist aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Das Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel; es sind noch umfangreiche und aufwändige Ermittlungen erforderlich. Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat erscheint daher nicht sachdienlich (§ 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG).

Nach der - im erstinstanzlichen Verfahren unterbliebenen - Einsichtnahme in die Nachlassakten steht fest, dass die Erbausschlagung durch die alleinsorgeberechtigte Kindesmutter der familiengerichtlichen Genehmigung gemäß § 1643 Abs. 2 Satz 1 BGB bedarf, weil die Erbschaft dem Kind durch die Ausschlagung des nicht vertretungsberechtigten Kindesvaters angefallen ist und damit die Ausnahmeregelung des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht zur Anwendung kommt.

Das erstinstanzliche Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, weil das Familiengericht den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt hat. Das Verfahren zur familiengerichtlichen Genehmigung einer Erbausschlagung ist eine Kindschaftssache nach § 151 Abs. 1 Nr. 1 FamFG; in diesen Verfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG). Das Familiengericht ist deshalb verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären und hierbei sämtliche Umstände zu ermitteln, die ihm eine Prüfung und Gesamtwürdigung der entscheidungserheblichen Umstände ermöglichen. Dabei muss das Gericht zwar nicht jeder nur denkbaren Möglichkeit nachgehen. Der Umfang der einzuleitenden und durchzuführenden Amtsermittlung ist aber so weit auszudehnen, wie es die Sachlage erfordert. Richtung und Umfang der Ermittlungen, die sich stets an der Lage des Einzelfalls orientieren müssen, werden durch die Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden materiell-rechtlichen Vorschriften bestimmt und begrenzt. Werden Ermittlungen nicht durchgeführt, zu denen im konkreten Einzelfall Anlass bestanden hätte, ist die richterliche Aufklärungspflicht verletzt (Keidel-Sternal, FamFG 18. Auflage § 26 Rz. 16 m.w.N.).

Eine Erbausschlagung des alleins...

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