Leitsatz (amtlich)

1. Einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrats fehlt die Prozessführungsbefugnis für eine Unterlassungsklage gegen die Aktiengesellschaft wegen Umstrukturierungsmaßnahmen, die nach Auffassung des Aufsichtsratsmitglieds als qualifizierte faktische Konzernierung unzulässig sein sollen.

2. Ein einzelnes Mitglied des Aufsichtsrats kann ohne entsprechenden Mehrheitsbeschluss des Gremiums vom beherrschten Unternehmen über die gesetzlich vorgesehenen Informationsrechte hinaus nicht die Vorlage von Urkunden zur Einsichtnahme durch den Aufsichtsrat verlangen.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 16.08.2006; Aktenzeichen 39 O 67/06 KfH)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 16.8.2006 (39 O 67/06 KfH) wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Streitwert: 1.000.000 EUR.

 

Gründe

A. Der Kläger beantragt in seiner Funktion als Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten die Feststellung der Nichtigkeit von in der Aufsichtsratssitzung am 18.1.2006 gefassten Beschlüssen, in denen die Zustimmung zur Umsetzung von Umstrukturierungsmaßnahmen erteilt wurde. Außerdem verlangt er die Unterlassung dieser Maßnahmen und die Vorlage von in diesem Zusammenhang relevanten Unterlagen. Mitglieder der Familie X, der auch der Kläger angehört, halten in der Rechtsform der X Vermögensverwaltungsgesellschaft bürgerlichen Rechts ca. 42,7 % der Aktien der Z AG, einer der größten Baugesellschaften in Deutschland mit einer konzernweiten Bauleistung von ca. 1,4 Mrd. EUR im Jahr 2004. Mehrheitsaktionärin der Beklagten ist seit Ende 2005 mit ca. 53,6 % der Aktien die S SE, die mit ihren Tochtergesellschaften zu den größten europäischen Anbietern von Bauleistungen gehört, der Rest der Aktien der Beklagten befindet sich in Streubesitz.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Aufsichtsratsbeschlüsse unwirksam seien, weil einzelne Mitglieder wegen des Interessenkonfliktes und eines Stimmverbots an der Abstimmung gehindert gewesen seien und weil dem Aufsichtsrat nicht die erforderlichen Informationen vorgelegen hätten. Die Beschlüsse seien inhaltlich zu beanstanden, weil es sich bei den Maßnahmen um eine unzulässige qualifizierte faktische Konzernierung handele und weil die Mehrheitsaktionärin gegen ein Wettbewerbsverbot verstoße.

1. Mehrheitsaktionärin der Beklagten war seit 1988 die im Februar 2005 in Insolvenz geratene W AG. Über deren Insolvenzverwalter hat die S SE zunächst 4,9 % der Aktien und schließlich Mitte 2005 weitere 48,7 % der Aktien, an denen ein Pfandrecht der B Bank bestanden hatte, erworben. Die Übernahme dieser Anteile wurde im November 2005 kartellrechtlich genehmigt.

Anteilseignerin der S SE war zu 100 % die F AG, an der die Familie H die Mehrheit hielt (50 % +1 Aktie), die restlichen Aktien hielt die R-Gruppe (vgl. Schema S. 8 der Klageschrift). Die F AG hielt außerdem 100 % der Anteile an der A AG, einer Schwestergesellschaft der S SE. Zwischenzeitlich wurde die F AG auf die S SE verschmolzen. Die S SE hält außer den 53,6 % der Aktien der Beklagten noch ca. 66 % der Aktien der S AG mit Sitz in K, die restlichen 34 % befinden sich in Streubesitz. Außerdem ist die S SE mit 65 % an der B AG beteiligt, die restlichen 35 % der B AG hält die S AG. Die S AG hielt ihrerseits wiederum direkt oder indirekt Anteile an weiteren Tochtergesellschaften, u.a. an der XB GmbH, der OlH GmbH, der EP GmbH, der BK GmbH, der D GmbH, der N S. A. und der SV GmbH.

H war Vorstandsvorsitzender der F AG und der S SE sowie Vorsitzender des Aufsichtsrats der S AG und der Beklagten; in deren Aufsichtsrat vertreten waren daneben jedenfalls bis zur Hauptversammlung am 22.6.2006 auf Arbeitgeberseite T B (zugleich Vorstandsmitglied der S AG und der S SE), N F, R J, H T (jeweils zugleich Vorstandsmitglieder der S SE und Aufsichtsratsmitglieder der S AG) sowie der Kläger E X. In der Hauptversammlung am 22.6.2006 wurden durch Mehrheitsbeschluss H, T B, N F, R J und H T sowie anstelle des Klägers M N (Vorstandsmitglied der S SE sowie früherer Vorstandsvorsitzender der Beklagten) zu Mitgliedern des Aufsichtsrats gewählt. Dieser Beschluss wurde (neben anderen Beschlüssen) durch Urteil des LG Stuttgart vom 9.2.2007 (31 O 100/06 KfH) wegen eines Stimmverbots der S SE nach § 20 Abs. 7 AktG für nichtig erklärt und festgestellt, dass als Aufsichtsratsmitglieder für die Anteilseigner C X, E X, T X, U W, Rechtsanwalt J B und Rechtsanwalt O G gewählt worden seien; gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, die ebenfalls beim Senat anhängig ist (20 U 7/07).

Die geplanten (bzw. nach dem bestrittenen Vortrag der Beklagten auch schon umgesetzten) Umstrukturierungsmaßnahmen betreffen insb. das Verhältnis der Beklagten zur S AG. Bei de...

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