Leitsatz (amtlich)

1. Die internationale Zuständigkeit für Ansprüche von Minderheitsaktionären, die auf die Rechtsfigur des qualifizierten faktischen Konzerns gestützt werden, ergibt sich aus der Regelung für außervertragliche Rechtsverletzungen in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Erfolgsort ist danach der Sitz des beherrschten Unternehmens.

2. Ob die Rechtsfigur des qualifizierten faktischen Konzerns, die der BGH im GmbH-Recht zugunsten des existenzvernichtenden Eingriffs aufgegeben hat, angesichts der gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismen im Aktienrecht anzuerkennen ist, ist zweifelhaft, kann aber offen bleiben.

3. Minderheitsaktionäre einer beherrschten Aktiengesellschaft, die die Unterlassung oder Rückgängigmachung von Umstrukturierungsmaßnahmen verlangen, genügen ihre Darlegungs- und Beweislast nicht, indem sie sich ohne nähere inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Gegenseite für die Nachteiligkeit der als qualifizierte faktische Konzernierung beanstandeten Maßnahmen auf ein Sachverständigengutachten beziehen.

4. Die Vorlage von Unterlagen, auf die sich das Informationsrecht der Aktionäre nicht erstreckt, kann ohne hinreichenden Sachvortrag prozessrechtlich nicht nach §§ 421 ff. ZPO oder § 142 ZPO gerichtlich angeordnet werden.

5. Die Zweckmäßigkeit von Umstrukturierungsmaßnahmen unterliegt wegen des unternehmerischen Ermessens der Leitungsorgange auch unter dem Gesichtspunkt der Treuepflicht nur eingeschränkt einer gerichtlichen Nachprüfung.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 16.08.2006; Aktenzeichen 39 O 80/06 KfH)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 08.04.2010; Aktenzeichen 1 BvR 1473/09)

BGH (Beschluss vom 25.06.2008; Aktenzeichen II ZR 133/07)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 16.8.2006 (39 O 80/06 KfH) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

Streitwert: 2.000.000 EUR.

 

Gründe

A. Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Unterlassung bzw. die Rückgängigmachung von Umstrukturierungsmaßnahmen, zu denen der Aufsichtsrat der Beklagten Ziff. 1 auf zwei Aufsichtsratssitzungen am 18.1.2006 und am 8.5.2006 seine Zustimmung erteilt hatte. Mitglieder der Familie X halten in der Rechtsform der X Vermögensverwaltungsgesellschaft bürgerlichen Rechts (Gesellschaftsvertrag der Klägerin Anlage K 11) ca. 42,7 % der Aktien der Z AG (Beklagte Ziff. 1), einer der größten Baugesellschaften in Deutschland mit einer konzernweiten Bauleistung von ca. 1,4 Mrd. EUR im Jahr 2004. Mehrheitsaktionärin der Beklagten Ziff. 1 ist seit Ende 2005 mit ca. 53,6 % der Aktien die S SE (Beklagte Ziff. 2), die mit ihren Tochtergesellschaften zu den größten europäischen Anbietern von Bauleistungen gehört, der Rest der Aktien der Beklagten Ziff. 1 befindet sich in Streubesitz.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Umstrukturierungsmaßnahmen für die Beklagte Ziff. 1 wirtschaftlich nachteilig und mangels einer vertraglichen Regelung mit der Beklagten Ziff. 2 als Mehrheitsgesellschafterin als qualifizierte faktische Konzernierung unzulässig und damit zu unterlassen bzw. rückgängig zu machen seien. Die Beklagte Ziff. 2 verstoße als Mehrheitsaktionärin außerdem gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht und gegen ein konzerninternes Wettbewerbsverbot.

1. Mehrheitsaktionärin der Beklagten Ziff. 1 war seit 1988 die im Februar 2005 in Insolvenz geratene W AG. Über deren Insolvenzverwalter hat die Beklagte Ziff. 2 zunächst 4,9 % der Aktien und schließlich Mitte 2005 weitere 48,7 % der Aktien, an denen ein Pfandrecht der B Bank bestanden hatte, erworben. Die Übernahme dieser Anteile wurde im November 2005 kartellrechtlich genehmigt.

Anteilseignerin der Beklagten Ziff. 2 war zu 100 % die F AG, an der die Familie H die Mehrheit hielt (50 % +1 Aktie), die restlichen Aktien hielt die R-Gruppe (vgl. Schema S. 9 der Klageschrift). Die F AG hielt außerdem 100 % der Anteile an der A AG, einer Schwestergesellschaft der Beklagten Ziff. 2. Zwischenzeitlich wurde die F AG auf die Beklagte Ziff. 2 verschmolzen. Die Beklagte Ziff. 2 hält außer den 53,6 % der Aktien der Beklagten Ziff. 1 noch ca. 66 % der Aktien der S AG mit Sitz in K, die restlichen 34 % befinden sich in Streubesitz. Außerdem ist die Beklagte Ziff. 2 mit 65 % an der B AG beteiligt, die restlichen 35 % der B AG hält die S AG. Die S AG hielt ihrerseits wiederum direkt oder indirekt Anteile an weiteren Tochtergesellschaften, u.a. an der XB GmbH, der OlH GmbH, der EP GmbH, der BK GmbH, der D GmbH, der N S. A. und der SV GmbH.

H war Vorstandsvorsitzender der F AG und der Beklagten Ziff. 2 sowie Vorsitzender des Aufsichtsrats der S AG und der Beklagten Ziff. 1; in deren Aufsichtsrat vertreten waren daneben jedenfalls bis zur Hauptversammlung der Bekla...

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