Verfahrensgang

LG Rottweil (Urteil vom 26.10.2016; Aktenzeichen 1 O 137/13)

 

Tenor

I. Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 26.10.2016, Az. 1 O 137/13, abgeändert:

1. Die Klage wird hinsichtlich der Klaganträge Ziff. 1 und Ziff. 2 dem Grunde nach zu 25 % für gerechtfertigt erklärt.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 25 % der durch das Unfallereignis vom 15.06.2013 bereits weiter entstandenen materiellen und zukünftig noch entstehenden materiellen und aus objektiv sachkundiger ärztlicher Sicht voraussehbaren zukünftig weiter entstehenden immateriellen Schäden zu ersetzen, welche bei Schluss der mündlichen Verhandlung 1. Instanz noch nicht eingetreten waren.

3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

II. Die Kostentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

III. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.879,08 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 313 Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist in vollem Umfang begründet, da eine über 25 % liegende Haftungsquote der Beklagten nicht gerechtfertigt ist (nachfolgend 1.)). Die zulässige Berufung des Klägers ist ebenfalls begründet (nachfolgend 2.)).

1.) Berufung der Beklagten

a) Die Haftung der Beklagten Ziff. 1) als Halterin des Fahrzeugs folgt aus § 7 Abs. 1 StVG, die der Beklagten Ziff. 2) aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 VVG. Hiernach haften die Beklagten aus Gefährdungshaftung auch ohne den Beweis eines Verschuldens der Beklagten Ziff. 1) grundsätzlich aufgrund der Betriebsgefahr des Fahrzeugs für den unfallbedingten Schaden, weil sie - wie sie selbst einräumen - nicht den Beweis der Verursachung durch höhere Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG führen können. Da der Kläger als Fußgänger weder Halter noch Führer eines beteiligten Fahrzeuges war, kommt eine Anspruchskürzung nach den §§ 17, 18 StVG nicht in Betracht. Die Beklagten zu 1 und 2 haften dem Kläger daher grundsätzlich als Gesamtschuldner in vollem Umfang (vgl. BGH, Urteil vom 24.09.2013 - VI ZR 255/12, Rn. 6 f., NJW 2014, 217).

b) Die Gefährdungshaftung kann allerdings im Rahmen der Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB ganz oder teilweise entfallen, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten darstellt. Die Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB setzt dabei die Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes auf der Seite des Geschädigten voraus. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein. Auf Seiten der Beklagten ist die Betriebsgefahr, die durch ein Verschulden der Beklagten Ziff. 1 erhöht sein kann, zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 24.09.2013 - VI ZR 255/12, Rn. 7, NJW 2014, 217; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 9 StVG Rn. 7; Rogler in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 25 StVO Rn. 233).

aa) Verschulden des Klägers

Der Kläger hat in grober Weise gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen, wonach Fußgänger die Fahrbahn nur unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs überqueren dürfen. Er hat den Fußgängerüberweg betreten, ohne auf das herannahende Fahrzeug der Beklagten Ziff. 1 zu achten. An Fußgängerüberwegen herrscht weder für die Kraftfahrer noch für die Fußgänger der Vertrauensgrundsatz. Der Überwegbenutzer hat den Fahrverkehr mit Sorgfalt zu beobachten; er darf sich nicht bedingungslos darauf verlassen, dass ihm der Fahrzeugführer den Vorrang einräumen wird und darf seinen Vorrang auch nicht erzwingen. Er hat sich daher nach links und rechts umzusehen und bei erkennbarer Gefährdung durch nahende Fahrzeuge zu warten (BGH, Urteil vom 08. Juni 1982 - VI ZR 260/80, Rn. 8, NJW 1982, 2384; OLG Celle, Urteil vom 5.6.2000 - 14 U 220/99, NZV 2001, 79; Hentschel/König/Dauer, aaO, § 26 Rn. 22). Nach den Feststellungen des Sachverständigen (Bl. 401 d.A.) betrat der Kläger die Fahrbahn etwa 0,4 bis 0,5 Sekunden vor der Kollision. Zu diesem Zeitpunkt war das Fahrzeug der Beklagten noch 4,4 bis 6,9 Meter von der Kollisionsstelle entfernt. Aus den vom Sachverständigen angefertigten Lichtbildern der Unfallörtlichkeit (Bl. 404 d.A.) ist ersichtlich, dass das herannahende Fahrzeug der Beklagten Ziff. 1 für den Kläger ohne weiteres erkennbar war.

bb) Verschulden der Beklagten Ziff. 1

(1) Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass der Beklagten Ziff. 1 kein Verstoß gegen § 26 StVO vorzuwerfen ist. Nach § 26 Abs. 1 StVO haben Fahrzeuge den zu Fuß Gehenden, welche einen Fußgängerüberweg erkennbar nutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Dann dürfen sie auch nur mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren. Die Absicht des Klägers, den Überweg zu benutzen, war für den Fahrverkehr jedoch objektiv nicht erkennbar (vgl. Hentschel/König/Dauer, aaO, § 26 StVO Rn. 15). ...

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