Leitsatz (amtlich)

›Widerspricht der Verteidiger erstmals in der Berufungshauptverhandlung - im Zeitpunkt des § 257 StPO - der Verwertung der Aussage eines schon in erster Instanz vernommenen Polizeibeamten über Angaben, die vom Beschuldigten unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht über seine Aussagefreiheit erlangt wurden, so hat dieser Widerspruch, da verspätet, nicht die Unverwertbarkeit der Aussage des Zeugen zur Folge (im Anschluß an BGHSt 38, 214 ff.).‹

 

Gründe

I.

Beide Tatsacheninstanzen haben den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr und des gleichzeitigen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen. Sie sind der Ansicht, dem Angeklagten könne nicht nachgewiesen werden, daß er ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen geführt habe. Belastende Angaben, die er einem Polizeibeamten gegenüber vor seiner Belehrung nach §§ 163 a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO gemacht habe, seien unverwertbar, weil er nach seiner Belehrung Angaben zur Sache verweigert habe - so das Amtsgericht - und - so das Berufungsgericht - der Verteidiger des Angeklagten nicht nur in der Berufungsverhandlung im Zeitpunkt des § 257 StPO der Verwertung der Aussage des Beamten widersprochen habe, sondern - was sich im Freibeweisverfahren erwiesen habe - der Verteidiger seinen Widerspruch schon beim Amtsgericht rechtzeitig angebracht habe. Die übrigen Indizien reichten, was den Vorwurf nach § 31 6 StGB angehe, für eine Verurteilung nicht aus.

Die Strafkammer hat festgestellt:

Am frühen Morgen des 12.11.1995 fiel einer Streifenwagenbesatzung bei ihrer Fahrt auf der Bundesstraße von R. nach T. ein Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen auf, der unbeleuchtet neben der Bundesstraße in Höhe der Ausfahrt J., Gemarkung K., stand. Die Beamten vermuteten zunächst einen technischen Defekt. Bei ihrer Rückfahrt in Richtung R. hielten sie an. PHM B. ging zu dem Fahrzeug hin und stellte fest, daß es verschlossen und die Motorhaube handwarm war. Im Fahrzeug war das Radio eingeschaltet, der Angeklagte schlief auf dem Fahrersitz, der heruntergedreht war. Die Zündung war ausgeschaltet. PHM B. weckte den Angeklagten durch Klopfen an die Scheibe. Dieser öffnete das Fenster an der Fahrerseite. Daraufhin erklärte PHM B., es handle sich um eine Polizeikontrolle, und erbat Führerschein und Kfz-Schein. Nachdem der Angeklagte dann eine Mappe mit den Unterlagen des Mietfahrzeugs aus der Ablage genommen und seine Personalien angegeben hatte, nahm PHM B. beim Angeklagten Alkoholgeruch wahr. Er fragte diesen sodann gezielt, ob er Alkohol getrunken habe und woher er komme. Daraufhin erklärte der Angeklagte, er habe ein paar Bier getrunken und sei nach einem Diskothekenbesuch in der "F." in R. auf der Rückfahrt von R. nach T. gewesen. Wie er auf den Grünstreifen der Richtungsfahrbahn nach R. gekommen sei, könne er nicht sagen. Erst danach belehrte PHM B. den Angeklagten gemäß §§ 163 a, 136 StPO. Die Untersuchung der beim Angeklagten um 7.00 Uhr entnommen Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,19 Promille.

Zum Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis stellt die Strafkammer fest, daß der Angeklagte, der amerikanischer Staatsbürger ist, zum zivilen Gefolge der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland gehört und im Besitz eines von diesen in Deutschland ausgestellten gültigen Führerscheins für Privatfahrzeuge der ihn gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.1959 zum Führen privater Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht wird von der Staatsanwaltschaft nicht angezweifelt, und sie verfolgt deshalb den Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht weiter.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit, als der Angeklagte vom Vorwurf der Trunkenheit im Verkehr freigesprochen wurde. Sie rügt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, daß ein Verwertungsverbot für die Aussage des Polizeibeamten über die ohne Belehrung des Angeklagten zustandegekommenen Angaben nicht bestehe. Der verteidigte Angeklagte habe vor dem Amtsgericht der Verwertung der Aussage des Beamten nicht widersprochen. Beim Widerspruch handle es sich um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 Abs. 1 StPO, die gemäß § 274 StPO nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werden könne. Dem Freibeweis sei diese Frage entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht zugänglich. Aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht vom ergebe sich ein Widerspruch nicht.

Mit der Sachrüge macht die Staatsanwaltschaft geltend, eine Verurteilung hätte, unabhängig von der Frage eines Verwertungsverbots, auch schon aufgrund der im Urteil festgestellten Indizien erfolgen müssen. Das Landgericht habe sich in seiner Beweiswürdigung zu sehr von festen Tatsachengrundlagen entfernt und von theoretischen Überlegungen und Vermutungen leiten lassen.

II.

Das Urteil des Landgerichts muß auf di...

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