Entscheidungsstichwort (Thema)

Testamentsanfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Pflichtteilsberechtigter, der mit einem Vermächtnis bedacht wurde, ist auch dann nicht übergangen im Sinne von § 2079 Satz 1 BGB, wenn der Wert der Vermächtniszuwendung hinter dem Pflichtteil zurückbleibt.

2. Das Fehlen der Voraussetzungen des § 2079 Satz 1 BGB schließt es nicht aus, eine Anfechtung auf § 2078 Abs. 2 BGB zu stützen.

3. Das auf Irrtum beruhende Unterlassen der Errichtung eines (neuen) Testaments ist nicht nach § 2078 BGB anfechtbar.

 

Normenkette

BGB § 2078 Abs. 2, § 2079 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Esslingen (Beschluss vom 21.11.2019; Aktenzeichen 4 VI 1129/20)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Esslingen - Nachlassgericht - vom 21.11.2019 (Az.: 4 VI 777/18) wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligte zu 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.230.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der zwischen dem ... und dem ... verstorbene Erblasser war in zweiter Ehe seit dem ... mit der Beteiligten zu 1 verheiratet. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind seine Kinder aus erster Ehe.

Auf Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht Esslingen als zuständiges Nachlassgericht am 07.11.2018 einen Erbschein erteilt, wonach die Beteiligte zu 1 Erbin zu 1/2 und die Beteiligten zu 2 und 3 Erben zu je 1/4 geworden sind.

Nach Erteilung des Erbscheins hat der Beteiligte zu 2 ein privatschriftliches Testament des Erblassers vom 06.05.2002 aufgefunden, welches am 21.11.2019 vom Amtsgericht Esslingen eröffnet wurde. Mit diesem Testament hatte der Erblasser folgendes verfügt:

"1. Frau ... ... erhält 50.000 aus meinem Aktienbesitz sowie das Auto Smart ... Darüber hinaus erhält Frau ... Wohnrecht im ... für 15 Jahre mietfrei. Wenn Sie die Wohnung nicht nutzen kann, kann sie sie vermieten. Selbstverständlich kann sie das Nutzungsrecht auch an die Kinder ... und ... verkaufen für 100.000.

2. Das übrige Vermögen wird zwischen den Kindern ... und ... aufgeteilt, und zwar je zur Hälfte."

Daraufhin hat das Amtsgericht Esslingen mit Beschluss vom 21.11.2019 den Erbschein vom 7.11.2018 als unrichtig eingezogen. Gegen diese Entscheidung hat die Beteiligte zu 1 mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 11.12.2019 Beschwerde eingelegt.

Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 15.10.2020, eingegangen bei dem Amtsgericht am gleichen Tag, hat die Beteiligte zu 1 das Testament vom 06.05.2002 wegen ihrer Übergehung nach § 2079 BGB angefochten. Nach dieser Vorschrift werde als Regelfall vermutet, dass der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage dem Pflichtteilsberechtigten nicht übergangen hätte. Auch aus dem Umstand, dass der Erblasser nach Eheschließung sein Testament nicht geändert habe, könne nicht auf eine Übergehung geschlossen werden. Auch habe der Erblasser vor seinem Tode die Absicht gehabt, sein Testament zu ändern, er habe sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt, habe seine Pläne aber durch seinen überraschenden Tod nicht mehr umsetzen können.

Das Amtsgericht Esslingen hat der Beschwerde mit Beschluss vom 10.2.2021 nicht abgeholfen. Zur Begründung wurde ausgeführt, § 2079 BGB sei vorliegend nicht anwendbar, da die Beteiligte zu 1 in dem Testament vom 06.05.2002 nicht übergangen worden sei.

Die Beteiligte zu 1 trägt im Beschwerdeverfahren vor:

Aufgrund wirksamer Anfechtung des Testaments vom 06.05.2002 sei gesetzliche Erbfolge eingetreten. Der Erblasser hätte dieses Testament niemals so errichtet, wenn er geahnt hätte, dass er zu einem späteren Zeltpunkt die Beteiligte zu 1 heiraten würde. Eine Eheschließung sei seinerzeit nicht beabsichtigt und nicht im Gespräch gewesen. Die Beschwerdeführerin habe zu diesem Zeitpunkt auch nicht gewusst, ob sie nach dem Abschluss Ihres Studiums in Deutschland bleiben oder wieder nach China zurückkehren würde.

Während einer Schiffsreise 2010 habe sich der Erblasser mit dem Thema Testamentserrichtung beschäftigt und sich hierüber auch mit einem Schulfreund unterhalten, ohne diesem gegenüber das bereits gefertigte Testament erwähnt zu haben. Der Schulfreund habe daraufhin dem Erblasser einen Testamentsentwurf überlassen (Anlage K 4, Bl. 49 der e-Akte). Die Beschwerdeführerin nehme an, der Erblasser sei aufgrund seiner Heirat von der Hinfälligkeit des Testaments vom 06.05.2020 ausgegangen oder habe dieses schlicht vergessen. Auch vor seinem Tod im Februar 2018 habe sich der Erblasser wieder mit dem Thema Testament beschäftigt, mit der Beteiligten zu 1 und mit Dritten über dieses Thema gesprochen und geäußert, auch selbst ein Testament errichten zu wollen, wozu er sich von einer befreundeten Frau auch eine Vorlage habe geben lassen. Auch bei dieser Gelegenheit habe der Erblasser nicht erwähnt, ein Testament bereits errichtet zu haben.

Der Wert der Zuwendungen zugunsten der Beteiligten zu 1 im Testament vom 06.05.2002 liege sehr deutlich unter dem gesetzlichen Erbteil oder dem Pfli...

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