Verfahrensgang

LG Stuttgart (Entscheidung vom 12.06.2012; Aktenzeichen 19 KLs (b) 45 Js 877/10)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Beschwerde des Verteidigers wird der Beschluss des Landgerichts - große Strafkammer - Stuttgart vom 12. Juni 2012

    a u f g e h o b e n.

  • 2.

    Der Beschluss der Urkundsbeamtin des Landgerichts Stuttgart vom 20. März 2012 wird dahin

    a b g e ä n d e r t,

    dass die Vergütung des gerichtlich bestellten Verteidigers auf

    4.030,88 €

    festgesetzt wird.

    Bereits ausbezahlte Gebühren sind anzurechnen.

  • 3.

    Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 RVG).

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer war im vorliegenden Strafverfahren vor der großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart als bestellter Verteidiger tätig. Die Hauptverhandlung fand an 65 Sitzungstagen zwischen dem 27. Oktober 2010 und dem 27. Februar 2012 statt. An neun Sitzungstagen ergingen zwischen dem bestimmten Sitzungsbeginn und dem tatsächlichen Sitzungsende mindestens fünf Stunden eine Minute und höchstens sechs Stunden, an weiteren vier Sitzungstagen mindestens acht Stunden eine Minute. Indes war die Hauptverhandlung an all diesen Tagen jeweils länger als eine Stunde bis höchstens zwei Stunden 59 Minuten zur Mittagspause unterbrochen.

Mit Schriftsatz vom 29. Februar 2012 beantragte Rechtsanwalt ... die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 4.030,88 €. Die ihm gewährten Vorschüsse hatte er dabei angerechnet; mit dem Antrag macht er also nur den Differenzbetrag geltend. Durch Beschluss der Urkundsbeamtin beim Landgericht Stuttgart vom 20. März 2012 wurde die dem Beschwerdeführer zu zahlende Vergütung auf 2.360,12 € festgesetzt. Die Urkundsbeamtin versagte dem Verteidiger neun Zusatzgebühren VV Nr. 4116 RVG und vier Zusatzgebühren VV Nr. 4117 RVG, weil sie jeweils die Mittagspause mit einer Dauer von einer Stunde von der Gesamtdauer der Hauptverhandlung abzog und dadurch in diesen Fällen auf eine Sitzungsdauer von höchsten fünf bzw. acht Stunden kam. Anstelle der vier nicht gewährten Zusatzgebühren VV Nr. 4117 RVG gewährte sie statt dessen vier Gebühren VV Nr. 4116 RVG. Dagegen hat der Verteidiger Erinnerung eingelegt, der die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hat. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die große Strafkammer die Erinnerung zurückgewiesen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage hat die Kammer die Beschwerde gegen ihren Beschluss zugelassen.

II.

Das fristgemäß eingelegte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel, über das der Senat in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet (§ 56 Abs. 2 i.V.m. 33 Abs. 8 Satz 1 RVG), ist begründet.

Nach VV Nr. 4116 RVG erhält der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt neben der Gebühr Nr. 4114 oder 4115 RVG eine weitere Gebühr in Höhe 108,-- €, wenn er mehr als fünf und bis zu acht Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt, nach VV Nr. 4117 erhält er stattdessen weitere 216,-- €, wenn er mehr als acht Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt. Die Frage, ob Mittagspausen von der Dauer der Hauptverhandlung abzuziehen sind, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart (Beschluss vom 8. August 2005, StV 2006, 201 ff.) ist der Auffassung, dass Mittagspausen und andere kürzere Verhandlungspausen bei der Berechnung der Dauer der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht in Abzug zu bringen sind. Anderes kann allenfalls bei extrem langen Verhandlungspausen im Einzelfall gelten (im Wesentlichen ebenso OLG Hamm, Beschluss vom 7. März 2006, AGS 2006, 337 ff.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. September 2006, NStZ-RR 2006, 391 f.; OLG Koblenz, 1. Strafsenat, Beschluss vom 16. Februar 2006, NJW 2006, 1150).

Demgegenüber vertritt das OLG Jena (Beschluss vom 11. Juni 2008, 1 AR (s) 79/07, im Wesentlichen ebenso OLG Bamberg, Beschluss vom 13. September 2005, AGS 2006, 124; KG Berlin, Beschluss vom 4. August 2009, JurBüro 2010, 363; OLG Koblenz, 2. Strafsenat, Beschluss vom 6. Februar 2006, NJW 2006, 1149) die Auffassung, dass Mittagspausen grundsätzlich von der Dauer der Hauptverhandlung in Abzug zu bringen sind, allerdings regelmäßig nur bis zur Dauer von höchstens einer Stunde. Der Auffassung des OLG Jena haben sich der 5. und der 2. Strafsenat beim Oberlandesgericht Stuttgart angeschlossen.

Im Interesse der Einheitlichkeit der Behandlung der Rechtsfrage im Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart haben die Strafsenate am 26. Juli 2012 eine Besprechung der mit Kosten- und Pauschgebührensachen befassten Richter und der Senatsvorsitzenden durchgeführt. Am Ende der Besprechung haben die Richter des 5. und des 2. Strafsenats erklärt, nicht mehr länger an ihrer Rechtsauffassung festhalten zu wollen, sondern sich der Rechtsauffassung des 4. Senats im Beschluss vom 8. August 2005 (a. a. O.) anzuschließen. Mittagspausen sind also grundsätzlich nicht von der Hauptverhandlungsdauer abzuziehen.

Somit sind dem Rechtsanwalt im vorliegenden Fall neun weitere Zusatzgebühren VV Nr. 4116 RVG und vier weitere Zusatzgeb...

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