Leitsatz (amtlich)

Kindergeld ist jedenfalls dann in vollem Umfang auf den Unterhaltsanspruch eines privilegierten volljährigen Kinds anzurechnen, wenn der das Kindergeld beziehende, anteilig barunterhaltspflichtige Elternteil leistungsunfähig ist, und der danach allein barunterhaltspflichtige andere Elternteil Unterhalt i.H.d. Existenzminimums schuldet.

 

Verfahrensgang

AG Freudenstadt (Aktenzeichen 3 F 490/02)

 

Tenor

Der Klägerin wird für die beabsichtigte Berufung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt H., T., zu den Bedingungen eines am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.

 

Gründe

Die Erfolgsaussicht der Berufung hängt ab von der Frage, ob auf den Unterhaltsanspruch (ggf. auch Bedarf) der Klägerin das Kindergeld i.H.v. 154 Euro entgegen der Regel in § 1612b Abs. 1 BGB nicht nur zur Hälfte, sondern voll anzurechnen ist, weil der andere Elternteil leistungsunfähig ist. Diese Frage ist in der Rspr. und Literatur hoch streitig, eine deutlich überwiegende Auffassung ist nicht ersichtlich (s. Palandt, BGB, 62. Aufl., § 1612 b Rz. 6 m.w.N.). Der Senat hält es daher nicht für angemessen, diese Rechtsfrage im Rahmen des PKH-Verfahrens endgültig zu entscheiden.

Der Senat weist aber darauf hin, dass er zu der Auffassung neigt, in einem solchen Fall das Kindergeld jedenfalls dann in vollem Umfang anzurechnen, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil – wie hier – Kindesunterhalt mindestens i.H.d. Existenzminimums schuldet. Diese Rechtsansicht hat der Senat bereits in seinem Beschl. v. 15.7.1999 (OLG Stuttgart v. 15.7.1999 – 17 UF 176/99, OLGReport Stuttgart 1999, 337 f.) angedeutet. Diese Konsequenz ergibt sich insb. aus der gesetzlichen Regelung in § 74 Abs. 1 S. 3 EStG, dass das Kindergeld an das Kind selbst ausgezahlt werden kann, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist. Mit dieser Bestimmung bringt der Gesetzgeber – wie auch in § 1612 b Abs. 5 BGB – deutlich zum Ausdruck, dass zumindest das Kindergeld dem Kind zugute kommen soll (vgl. BFH, Urt. v. 16.4.2002, FPR 2003, 97). Bei einer lebensnahen Betrachtung ist ohnehin davon auszugehen, dass der Elternteil, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, dem Kind trotz seiner Leistungsunfähigkeit Naturalleistungen zukommen lässt, insb. freies Wohnen und Verpflegung. Auf diese Weise kehrt dieser Elternteil aber seinen Kindergeldanteil an das Kind aus mit der Folge, dass die Bedürftigkeit des Kindes sich entspr. reduziert. Erbringt dieser Elternteil aber keine kostenlosen Naturalleistungen ggü. dem Kind, hat es das – insb. volljährige und damit allein verantwortliche – Kind in der Hand, durch einen Antrag nach § 74 Abs. 1 EStG sich das Kindergeld direkt auszahlen zu lassen und auf diese Weise den barunterhaltspflichtigen Elternteil zu entlasten. Im Ergebnis ist daher wohl dem allein barunterhaltspflichtigen Elternteil das volle Kindergeld zugute zu bringen (so im Ergebnis auch Born in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1612 b Rz. 53; Borth in Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., Teil V, Rz. 188).

Der Senat wird daher eine Berufung der Klägerin voraussichtlich zurückweisen. Diese macht daher nur dann Sinn, wenn die Klägerin ggf. beabsichtigt, eine vom Senat zugelassene Revision einzulegen.

Weiss Strohal Streicher

RiOLG Direktor des AG RiOLG

 

Fundstellen

Haufe-Index 1110011

FamRZ 2004, 219

EzFamR aktuell 2003, 219

OLGR Düsseldorf 2003, 91

OLGR Frankfurt 2003, 91

OLGR Hamm 2003, 91

OLGR Köln 2003, 91

FamRB 2004, 3

ZFE 2003, 348

KG-Report 2003, 91

OLGR-BHS 2003, 91

OLGR-CBO 2003, 91

OLGR-KSZ 2003, 91

OLGR-KS 2003, 440

OLGR-KS 2003, 91

OLGR-MBN 2003, 91

OLGR-NBL 2003, 91

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