Leitsatz (amtlich)

Das Infektionsschutzgesetz ermächtigte im März 2020 in verfassungsrechtlich zulässiger Weise die Landesregierung, den Aufenthalt im öffentlichen Raum angesichts der Corona-Pandemie zu beschränken und Verstöße als Ordnungswidrigkeit auszugestalten. Das in § 3 Abs.1 Satz 1 Corona-Verordnung vom 17. März 2020 in der Fassung vom 28. März 2020 geregelte Verbot des gemeinsamen Aufenthalts mit mehr als einer nicht dem eigenen Haushalt angehöriger Person im öffentlichen Raum ist verfassungsgemäß dahin auszulegen, dass ein ordnungswidriges Verhalten nur vorliegt, wenn zusätzlich die in § 3 Abs. 1 Satz 2 Corona-Verordnung festgelegte allgemeine Abstandsregel von 1,5 Metern nicht eingehalten wird.

 

Normenkette

IfSG § 73 Abs. 1a Nr. 24, §§ 32, 38 Abs. 1; CoronaVO BW § 3 Abs. 1 Fassung: 2020-03-28, § 9 Nr. 1 Fassung: 2020-03-08

 

Verfahrensgang

AG Schorndorf (Entscheidung vom 09.11.2020; Aktenzeichen 6 OWi 171 Js 81103/20)

 

Tenor

Auf die durch Beschluss vom 26. März 2021 zugelassene Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Schorndorf vom 9. November 2020 mit den zugrundeliegenden Feststellungen

aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Schorndorf

zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht Schorndorf gegen die Betroffene "wegen des vorsätzlichen Aufenthalts mit mehr als einer weiteren Person, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Hausstandes gehört, im öffentlichen Raum trotz eines Aufenthaltsverbots" eine Geldbuße in Höhe von 140,00 Euro verhängt.

Die Verurteilung ist auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG i.V.m. §§ 32, 28 Abs. 1 IfSG und § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung - CoronaVO) vom 17. März 2020 in der Fassung vom 28. März 2020 gestützt.

Hierzu hat das Amtsgericht unter II. seines Urteils folgenden Sachverhalt festgestellt:

"Die Betroffene saß am 07.04.2020 gegen 17:14 Uhr gemeinsam mit S. und R. auf dem Gehweg der L1151, 73614 Schorndorf im Bereich der Bushaltestelle gegenüber Ebersbacher Weg zwischen Schorndorf und Schlichten, wobei zwischen den genannten Personen ein Abstand von weniger als 1,50 m bestand. Die Betroffene wusste und billigte hierbei, dass die Abstände nicht eingehalten wurden."

In der Beweiswürdigung ist unter III. des amtsgerichtlichen Urteils zu den Abständen der Personen untereinander ausgeführt:

"Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass zwischen der Betroffenen und der Zeugin R. sowie zwischen der Zeugin R. und dem Zeugen S. jeweils ein Abstand von weniger als 1,50 m bestanden hat und dass die Betroffene sich dessen bewusst war und dies billigte."

Im Rahmen der rechtlichen Würdigung unter IV. des amtsgerichtlichen Urteils wird ausgeführt:

"Darauf, ob der Abstand zwischen der innerhalb der Gruppe außen sitzenden Betroffenen und dem auf der anderen Seite der mittigen Zeugin R. sitzenden Zeugen S. eingehalten war, kommt es nach Auffassung des Gerichts nicht an. Denn der Zeuge S. ist nicht als ,andere Person' im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 Corona-Verordnung zu werten."

§ 3 Abs. 1 CoronaVO lautete in der zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Fassung wie folgt:

Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Haushalts gestattet. Zu anderen Personen ist im öffentlichen Raum, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.

§ 9 Nr. 1 CoronaVO lautete in der zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Fassung wie folgt:

Ordnungswidrig im Sinne des § 73 Absatz 1a Nummer 24 des Infektionsschutzgesetzes handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 3 Abs. 1 sich im öffentlichen Raum aufhält.

Mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung materiellen Rechts und macht den Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts geltend. Insbesondere beanstandet sie, die rechtliche Würdigung des Amtsgerichts, den Zeugen S. nicht als "andere Person" im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO zu werten.

Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, diese aber als unbegründet zu verwerfen.

Mit Beschluss vom 26. März 2021 hat der zunächst nach § 80a Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG zur Entscheidung berufene Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache, da er die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für geboten gehalten hat (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG), nach § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen hat mit der Sachrüge zumindest vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des angefoc...

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