Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung einer letztwilligen Zuwendung als Erbeinsetzung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Umstand, dass die zugewandten Gegenstände das Vermögen des Erblassers erschöpfen, rechtfertigt für sich allein noch nicht die Annahme einer Erbeinsetzung, sondern ist nur besonderer Anlass für die Prüfung, ob entgegen § 2087 Abs. 2 BGB eine Erbeinsetzung vorliegt.

2. Die Auslegung wird dabei zu fragen haben, ob die Rechtsstellung des Bedachten nach dem Willen des Erblassers Merkmale aufweisen sollte, die derjenigen eines Vermächtnisnehmers fremd, aber mit der Erbenstellung verbunden sind.

3. Auszugehen ist insoweit von den Vorstellungen, die der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenstände hat.

4. Wer entgegen der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB die Rechtsstellung eines Erben beansprucht, muss im Einzelnen darlegen und beweisen, dass der zugewandte Gegenstand praktisch das gesamte Vermögen des Erblassers ausgemacht hat.

 

Verfahrensgang

AG Stralsund (Aktenzeichen 10 VI 187/20)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Stralsund - Zweigstelle Bergen auf Rügen - vom 11.9.2020, Az. 10 VI 187/20, aufgehoben. Der Erbscheinsantrag des Antragstellers vom 12.3.2020 wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die Gerichtskosten des Erbscheinsverfahrens beider Instanzen. Außergerichtliche Kosten der Beteiligten sind nicht zu erstatten.

3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 236.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Erblasser errichtete am 23.7.1987 vor einem staatlichen Notariat zusammen mit seiner Ehefrau H. M. ein gemeinschaftliches Testament. Darin setzten sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben ein. Nach dem Ableben des Längstlebenden sollte der Antragsteller Eigentümer ihres Hausgrundstückes in B., das sie im Jahr 1973 für 4.360 Mark/DDR erworben hatten, werden. Genauere Festlegungen darüber und über die Verteilung des übrigen Eigentums (Hausrat, Sparguthaben, Schmuck usw.) sollte der Längstlebende treffen. Der Erblasser war selbständiger Maler.

Der Antragsteller behauptet, neben dem Hausgrundstück sei nur unwesentliches Sparvermögen und einfacher Schmuck vorhanden gewesen, sodass es sich bei dem Hausgrundstück um das wesentliche Vermögen des Erblassers gehandelt habe und demzufolge eine Erbeinsetzung zu seinen Gunsten vorliege.

Die Antragsgegnerin behauptet, das Hausgrundstück sei im Jahr 1987 höchstens 5.000 Mark/DDR wert gewesen. Die Eheleute M. hätten umfangreiches Geld- bzw. Sparvermögen, wertvollen Schmuck und einen Pkw Wartburg, der schon allein mehr wert gewesen sei als das Grundstück, besessen.

Das alte reetgedeckte Wohnhaus der Eheleute M. verfügte bis zum Jahr 1990 über eine einfache Ferienwohnung ("Ost-Standard), die regelmäßig Verwandten überlassen wurde. Im Jahr 1992 wurde das Haus umgebaut und saniert, sodass zwei Wohnungen und drei Ferienwohnungen ("West-Standard") entstanden. Die Eheleute M. wandten hierfür 62.709,22 DM auf, die sie bar bezahlten. Ob es sich um Ersparnisse aus DDR-Zeiten oder um Einkünfte nach der "Wende" handelte, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Der Erblasser beerbte seine am 1.12.2017 vorverstorbene Ehefrau H. M. allein (s. Erbschein des AG Stralsund vom 4.4.2018 - Az. 101 VI 71/18).

Der Erblasser verkaufte das Hausgrundstück am 31.1./15.2.2019 für 200.000 EUR. Der Käufer ist noch nicht im Grundbuch als Eigentümer eingetragen. Im Grundbuch ist indes eine Sicherungshypothek in Höhe von 25.000 EUR eingetragen. Der restliche Nachlass hat einen Wert von 61.000 EUR, darunter 40.000 EUR Geldvermögen und ein Bausparvertrag in Höhe von 10.000 EUR.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Erbscheinsantrag zurückzuweisen. Über ihren gegenläufigen Antrag, einen Alleinerbschein zu ihren Gunsten zu erteilen, ist noch nicht entschieden.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 11.9.2020 die zur Begründung des Erbscheinsantrags vom 12.3.2020 erforderlichen Tatsachen zugunsten des Antragstellers für festgestellt erachtet. Neben dem Grundstück sei zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung kein nennenswertes Vermögen vorhanden gewesen; substantiierter Vortrag der Antragsgegnerin fehle insoweit. Wegen der weiteren Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss vom 11.9.2020 verwiesen.

Die Antragsgegnerin hat am 13.10.2020 gegen den am 14.9.2020 zugestellten Beschluss Beschwerde eingelegt. Mit der Beschwerde hat sie die Rechnungen und Zahlungsnachweise betreffend den Umbau des Wohnhauses im Jahr 1992 sowie zahlreiche Fotos vor und während der Bauphase eingereicht. Der im Jahr 1973 bezahlte Kaufpreis habe dem Einheitswertbescheid und damit dem damaligen Verkehrswert entsprochen. Das Hausgrundstück habe im Jahr 1987 nicht das gesamte bzw. fast das gesamte Vermögen des Erblassers ausgemacht, sodass sich eine Auslegung der Zuwendung des Hausgrundstückes in eine Erbeinsetzung des Antragstellers verbiete.

Die Antragsgegnerin b...

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