Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorerbschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Der Erblasser kann dem Vorerben die Befugnis einräumen, über den Nachlaß anderweitig letztwillig zu verfügen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Erblasser kann dem Vorerben die Befugnis einräumen, über den Nachlass anderweitig letztwillig zu verfügen.

 

Normenkette

BGB §§ 2065, 2174, 2150, 2055 Abs. 2

 

Gründe

Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß § 2174, 2150 BGB Auflassung des Hausgrundstückes und die entsprechende Einwilligung zur Umschreibung im Grundbuch aus dem Vorausvermächtnis verlangen, das ihr die Erblasserin über den aus dem Nachlaß ihres vorverstorbenen Ehemannes stammenden Grundbesitzes ausgesetzt hat, ohne daß der Beklagten demgegenüber ein Ausgleichsanspruch zusteht.

Nach Maßgabe des Anschlußtestamentes von 1954 hatte der Erblasser seine bereits mit Testament von 1935 als befreite Vorerbin eingesetzte Ehefrau dazu ermächtigt, letztwillig anders zu verfügen.

Davon hat diese zunächst in ihrem Testament von 1980 und danach in der Nachfuge von 1984 Gebrauch gemacht. Die von der Berufung dagegen erhobenen Bedenken greifen im Ergebnis nicht durch. Zu Recht weist sie allerdings darauf hin, daß Ausgangspunkt bei der Prüfung von Umfang und Rechtswirksamkeit dieser Ermächtigung und der darauf beruhenden Verfügung das Anschlußtestament von 1954 ist.

Es ist in der höchstrichterlichen, vom Reichsgericht begründeten und später vom BGH fortgeführten Rechtsprechung, dem weitgehend die Obergerichte und die Lehre gefolgt sind, anerkannt, daß dem Vorerben die Befugnis eingeräumt werden kann, anderweitig über den Nachlaß letztwillig zu verfügen (vgl. nur RG HRR 1942, 838 f; BGHZ 2, 35; BGH LM Nr. 6 zu § 2065 BGB; BGHZ 59, 220; offengelassen in BGH NJW 1981, 2051 f; KG DNotZ 1956, 195; OLG Hamm Rpfl. 1972, 445; Raape AcP 140, 223; Hermann AcP 155, 434; Staudinger-Otte, BGB, 12. Aufl., § 2065 Rdnr. 19 ff; Palandt-Edenhofer, BGB, 49. Aufl., § 2065 Anm. 4; Hermann-F. Hense, BGB, 7. Aufl., § 2065 Rdnr. 3 ff; Soergel-Damrau, BGB, 11. Aufl., § 2065 Rdnr. 12 ff; teilweise abweichend: BGB-RGRK-Johannsen, 12. Aufl., § 2065 Rdnr. 11, 16 a. E.; OLG Hamm DNotZ 1967, 315; anderer Ansicht: Müko-Leipold; BGB, 2. Aufl., § 2065 Rdnr. 10 jeweils m. w. N.).

In einem solchen Fall soll der Vorerbe nicht etwa – was rechtlich nicht möglich wäre – über den Nachlaß des Erblassers an seiner Stelle verfügen und so die Erbfolge nach ihm neu regeln können. Vielmehr steht die Anordnung der Nacherbschaft unter der auflösenden Potestativbedingung, daß der Vorerbe nicht anderweitig verfügt und dadurch die Nacherbschaft beseitigt, so daß er nunmehr über sein eigenes, insoweit aus dem Nachlaß des Erblassers herrührendes Vermögen verfügt. Ob der Erblasser eine solche Bedingung den Vorerben an die Hand geben sollte, ist im Auslegungswege (§ 133 BGB) festzustellen.

Die dagegen erhobenen, im wesentlichen rechtsbegrifflich begründeten Bedenken, es handele sich dabei lediglich um eine Konstruktion, die dazu diene, an § 2065 BGB vorbeizukommen, der aber für die Bestimmung von Vor- und Nacherbschaft keine Ausnahme enthalte (so ausdrücklich: Müko-Leipold a.a.O.), vermögen den Senat nicht zu überzeugen. Die Zulässigkeit auflösender Bedingungen, von der der Bestand einer letztwilligen Verfügung auch im Falle der Vor- und Nacherbschaft abhängig gemacht werden kann, ergibt sich aud dem Gesetz, §§ 2074, 2108 BGB. § 2065 BGB enthält den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit der Testamentserrichtung. Die Entscheidung über Geltung und/oder Inhalt der Verfügung darf nicht einem Dritten übertragen werden. Damit soll sichergestellt werden, daß der Vermögensinhaber selbst auch die Verantwortung dafür übernimmt, was mit seinem Vermögen geschieht, wenn er von der gesetzlichen Erbfolge abweichen will (vgl. Staudinger-Otte a.a.O. Rdnr. 1). Testamentsbestand, Zuwendungsempfänger und Zuwendungsgegenstand dürfen nur vom Testator selbst abhängen, nicht dagegen von Dritten. In diesem Sinne regelt § 2065 BGB den Entzug der Testierfähigkeit gegenüber einem insoweit unentschlossenen Erblasser. Dieser kann einem Dritten nicht das Recht einräumen, seine Entscheidung zu korrigieren. Dies bedeutete eine unzulässige Vertretung in seinem Willen.

Die Anordnung einer bedingten Nacherbschaft, in der zur dogmatischen Erklärung gleichzeitig eine bedingte Vollerbschaft gesehen werden mag (Staudinger-Otte a.a.O., Rdnr. 20; Soergel/Damrau a.a.O. Rdnr. 14), muß aber nicht das Fehlen der erforderlichen Entscheidungsfähigkeit bzw. Entscheidung des Erblassers selbst bedeuten. Der Erblasser kann, wie auch die zu beurteilende Fallgestaltung zeigt, ganz exakte Vorstellungen über das Schicksal des Nachlasses niedergelegt haben. Daß der Nachlaß im Fall des Eintritts einer aufgestellten Bedingung einem anderen zufällt als ohne den Bedingungseintritt, bedeutet keinen mangelnden Entscheidungswillen. Vielmehr nutzt der Erblasser eine der Vor- und Nacherbenanordnung eigentümliche Schwäche aus, die aus der Zulässigkeit von Potestativbedingungen bei letzt...

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