Entscheidungsstichwort (Thema)

Ehescheidung. Kostenfestsetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Fünfzehn Zehntel der vollen Gebühr (Vergleichsgebühr) sind auch dann zuzuerkennen, wenn Prozeßkostenhilfe für einen gerichtlichen Vergleich über nicht anhängige Scheidungsfolgesachen (§ 623 Abs. 1 ZPO) beantragt wird, dessen Wortlaut bereits außergerichtlich schriftlich ausformuliert wurde, so daß die Bewilligung (bzw. Erstreckung) ohne Prüfung der – bereits indizierten – Erfolgsaussicht und damit ohne Anhängigkeit eines PKH-Verfahrens i.S. des § 23 Abs. 1 S. 3 BRAGO erfolgen kann.

 

Normenkette

BRAGO § 23 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 122 Abs. 3; ZPO §§ 114, 118 Abs. 1 S. 3, § 623 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Weißenburg i.Bay (Beschluss vom 22.04.1997; Aktenzeichen 1 F 133/96)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Prozeßbevollmächtigten des Antragsgegners hin wird der Kostenfestsetzungsbeschluß des Amtsgerichts – Familiengericht – Weißenburg (1 F 133/96) vom 22. April 1997 i.V. mit der Nichtabhilfeentscheidung vom 9. Juli 1997 abgeändert.

II. Die der Prozeßbevollmächtigten des Antragsgegners aus der Staatskasse zu bezahlende Vergütung ist unter Zugrundelegung einer 15/10 Vergleichsgebühr zu bemessen.

 

Tatbestand

I.

Von der Darstellung des Sachverhalts wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO analog).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 128 Abs. 4 BRAGO) und begründet.

Der Prozeßbevollmächtigten des Antragsgegners stehen für ihre Mitwirkung beim Abschluß des Vergleichs fünfzehn Zehntel der vollen Gebühr zu (§ 23 Abs. 1 S. 1 BRAGO).

Eine Herabsetzung der Vergleichsgebühr gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 BRAGO auf zehn Zehntel ist im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt, auch wenn das Amtsgericht sich hierfür auf eine Entscheidung des Senats vom 11. Juli 1995 (JurBüro 1996, 25=Rpfleger 1996, 129) berufen hat. Denn die zugrundeliegenden Sachverhalte sind nicht miteinander vergleichbar.

Die zum 1. Juli 1994 erfolgte gesetzliche Erhöhung der Vergleichsgebühr nach § 23 Abs. 1 S. 1 BRAGO von 10/10 auf 15/10 sollte das Bemühen des Rechtsanwalts fördern, Streitigkeiten ohne Inanspruchnahme des Gerichts durch gütliche Einigung zu erledigen; außergerichtliche Vergleiche sollten der Regelfall, gerichtliche Vergleiche die Ausnahme werden (vgl. amtliche Begründung zum Kostenrechtsänderungsgesetz 1994, LArbG Baden-Württemberg, JurBüro 1995, 583, 584; OLG Bamberg, JurBüro 1996, 23; OLG Karlsruhe, JurBüro 1996, 638; OLG Zweibrücken, FamRZ 1997, 946 = JurBüro 1997, 136). Der Anreiz einer erhöhten Vergleichsgebühr sollte zu einer spürbaren Entlastung der Gerichte führen.

Von der Belohnung mit einer erhöhten Vergleichsgebühr – als Prämie – ausgenommen sind daher die Vergleichsabschlüsse, über deren Gegenstand ein gerichtliches Verfahren oder ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe anhängig war (§ 23 Abs. 1 S. 3 BRAGO).

Über die Frage, ob ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe anhängig wird, wenn für einen beabsichtigten Vergleich über nicht (als Folgesachen) anhängige Gegenstände (wie Unterhalt, Ehewohnung, Hausrat oder Zugewinnausgleich) Prozeßkostenhilfe beantragt und bewilligt wird, besteht in Rechtsprechung und Schrifttum noch immer Streit.

Weil der reine Wortlaut und dessen bisherige Interpretation, wonach Anhängigkeit mit Eingang einer Antragsschrift bei Gericht (BGH NJW 1987, 3263, 3265; OLG Bamberg, FamRZ 1994, 519, 520; Baumbach/Hartmann, ZPO, 55. Auflage, § 261, Rn 1) oder mit Aufnahme eines Antrags zu Protokoll des Gerichts (§ 117 Abs. 1 ZPO; OLG Frankfurt, MDR 1989, 272) eintritt, bei der Gebührenfestsetzung zu unbilligen Ergebnissen führen kann, haben Rechtsprechung und Schrifttum die Anhängigkeit i.S. des § 23 Abs. 1 S. 3 BRAGO auf der Grundlage des eingangs dargestellten Gesetzeszweckes – teilweise unterschiedlich – neu definiert.

Nach der Mehrzahl der veröffentlichten Entscheidungen ist eine „restriktive, einschränkende” Auslegung des § 23 Abs. 1 S. 3 BRAGO gerechtfertigt bzw. geboten (OLG Karlsruhe, JurBüro 1996, 638; OLG München, JurBüro 1997, 249, 250; OLG Bamberg, JurBüro 1996, 23) mit der Folge, daß ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe im Sinne dieser Vorschrift nur dann „anhängig” ist, wenn es „auf die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens gerichtet ist” (OLG Frankfurt, JurBüro 1997, 365) oder „zur Durchführung eines Rechtsstreits anhängig gemacht wurde” (OLG Zweibrücken FamRZ 1997, 946 = JurBüro 1997, 136 = Rpfleger 1997, 187).

Diese Ansicht vertreten auch von Eicken (in Gerold/Schmidt, BRAGO, 13. Auflage, § 23 Rn. 40 a, 58, und in NJW 1996, 1649, 1950) und Enders (JurBüro 1997, 366; 1997, 307; 1997, 81, 82; 1996, 617, 618; 1995, 584; 1995, 393 ff.); hiernach macht eine Erweiterung der Prozeßkostenhilfe auf den Abschluß eines Vergleichs die nicht anhängigen Gegenstände nicht in einem PKH-Verfahren i.S. des § 23 Abs. 1 S. 3 BRAGO „anhängig”, weil diese Gegenstände „nicht zur gerichtlichen Entscheidung gestellt sind” und die Prozeßkostenhilfe(erweiterung) nicht für eine solche Entscheidung beantragt worden ist (von Eicken, NJW 1996, 1650).

Nach di...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge