Leitsatz (amtlich)

1. Eine Kündigung des Bauvertrages aus einem wichtigen Grund i.S.v. § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B 2012 kann nicht auf einen Verzug mit der Vollendung der Ausführung gestützt werden, wenn der ursprünglich verbindlich vereinbarte Fertigstellungstermin wegen erheblicher Verzögerungen des Beginns der Ausführung obsolet geworden und ein neuer Fertigstellungstermin nicht vereinbart worden ist. Für die Annahme eines Schuldnerverzuges nach den allgemeinen Regeln des BGB bedarf es der Darlegung einer angemessenen Bauzeit und der ausdrücklichen Aufforderung zur Vollendung der Gesamtleistungen nach Ablauf dieser Bauzeit unter Setzung einer angemessenen Nachfrist.

2. Ein für eine wirksame Kündigung erforderlicher wichtiger Grund i.S.v. § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B 2012 kann in einer Verzögerung mit dem Beginn der weiteren Ausführung der (unterbrochenen) Leistungserbringung liegen, wenn die Vertragsparteien insoweit eine verbindliche Wiederaufnahmefrist vereinbart haben und der Auftraggeber nach Fristablauf fruchtlos eine Nachfrist für die Wiederaufnahme der Arbeiten gesetzt hat.

3. Eine Kündigung nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B 2012 kann auch auf die Versäumung der Frist und einer angemessenen Nachfrist zur Erbringung von Teilleistungen nach Aufforderung zur Abhilfe i.S.v. § 5 Abs. 3 VOB/B 2012 gestützt werden, soweit das Abhilfeverlangen nicht ausnahmsweise als treuwidrig zu bewerten ist.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 19.01.2021; Aktenzeichen 9 O 1183/19)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. Januar 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

III. Das Urteil des Senats und das o.g. Urteil des Landgerichts sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Vollstreckungsgläubigerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin begehrt von der Beklagten entsprechend ihrer Schlussrechnung vom 27.05.2019 Restwerklohn in Höhe von 54.528,15 EUR für ihre Leistungen zur Herstellung lufttechnischer Anlagen für das Bauvorhaben "Neubau der Feuerwache auf dem Truppenübungsplatz A."; dieser Anspruch steht zwischen den Prozessparteien nicht im Streit.

Die Beklagte erklärte am 02.04.2019 die Aufrechnung mit einem vermeintlichen Anspruch gegen die Klägerin auf Schadensersatz statt der Leistung aus einem Bauvertrag bezüglich der Instandsetzung lüftungstechnischer Anlagen im Erdgeschoss des Gebäudes 25 des Truppenlagers auf der Bundeswehrliegenschaft K.. Diese Gegenforderung bildet den Hauptgegenstand des Rechtsstreits.

Die Beklagte, letztvertreten durch den Landeseigenbetrieb Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt (BLSA), erteilte der Klägerin im Ergebnis eines Vergabeverfahrens am 18.06.2015 den Auftrag "Lüftung - Erdgeschoss". Dem Vertrag lag das Angebot der Klägerin vom 13.04.2015 zugrunde, die VOB/B in der Fassung von 2012 wurde einbezogen. In den Besonderen Vertragsbedingungen (BVB) war bestimmt, dass die Ausführung der Leistungen am 26.06.2015 zu beginnen und am 19.08.2016 zu vollenden sei. Beide Fristen wurden als verbindliche Fristen (Vertragsfristen) i.S.v. § 5 Abs. 1 VOB/B vereinbart. Die Klägerin hielt den vorgenannten Fertigstellungstermin nicht ein.

Im Rahmen einer Baubesprechung am 08.09.2016, bei welcher die Beklagte einen aktuellen Bauablaufplan nicht vorlegen konnte, vereinbarten die Vertragsparteien, dass die Klägerin ihre vorübergehend eingestellten Arbeiten bei einem Abruf mit einer Vorlauffrist von drei Wochen aufnehmen solle (vgl. Anlage K 16, GA Bd. I Bl. 52 f.). Mit ihren Schreiben vom 27.10.2017, 21.11.2017 und vom 27.11.2017 (Anlagen B 12-14) sowie in der Baubesprechung vom 19.04.2018 forderte die Beklagte die Klägerin jeweils zur Aufnahme von Arbeiten auf. Bis zum 23.08.2018 waren die Arbeiten der Rohr- und Kanalinstallation gleichwohl nicht fertiggestellt.

Mit Schreiben vom 30.08.2018 (Anlage B 2) forderte die Beklagte die Klägerin erfolglos zur Vornahme der Rohr- und Kanalinstallationsarbeiten bis zum 05.09.2018 auf. Mit weiterem Schreiben vom 06.09.2018 (Anlage B 3) wiederholte sie die Aufforderung unter Nachfristsetzung bis zum 12.09.2018 sowie unter Androhung einer Kündigung aus wichtigem Grund und einer Geltendmachung der Mehrkosten der Ersatzvornahme. Schließlich erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 14.09.2018 die Kündigung unter Bezugnahme auf die vorgenannten Schreiben und den fruchtlosen Fristablauf.

Die Beklagte nahm die Teilleistungen der Klägerin am 26.09.2018 förmlich ab und protokollierte auch den Umfang der nicht erbrachten, offenen Restleistungen.

Im Hinblick auf die von der Klägerin erteilte Schlussrechnung vom 18.10.20...

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