Leitsatz (amtlich)

Eine Partei verschuldet die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist i.S.v. § 233 ZPO, wenn ihr Prozessbevollmächtigter wenige Minuten vor Fristablauf versucht, die zwanzigseitige Berufungsschrift dem Berufungsgericht per Telefax zu übermitteln, statt auf gleichem Wege ein kurzes Fristverlängerungsgesuch anzubringen.

 

Verfahrensgang

LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 09.07.2010; Aktenzeichen 2 O 574/08)

 

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den Stand vor der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten gegen das am 9.7.2010 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Dessau-Roßlau wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 102.500 EUR.

 

Gründe

I. Die 2. Zivilkammer des LG Dessau-Roßlau verurteilte die Beklagte am 9.7.2010 zur Zahlung von 102.500 EUR nebst Zinsen an den klagenden Insolvenzverwalter des Vermögens der H. GmbH. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausweislich seines Empfangsbekenntnisses am 21.7.2010 zugestellt. Am 20.8.2010 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag vom 20.9.2010 wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum 5.10.2010 verlängert. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten übermittelte die Berufungsbegründung per Telefax. Der Übermittlungsvorgang des 20 Seiten umfassenden Schriftsatzes begann am 5.10.2010 um 23.53 Uhr. Das Original der Berufungsbegründung ging am 7.10.2010 bei dem OLG Naumburg ein.

Der Senatsvorsitzende wies den Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Verfügung vom 7.10.2010 darauf hin, dass die Berufungsbegründungsschrift nicht innerhalb der bis zum 5.10.2010 verlängerten Berufungsbegründungsfrist, sondern erst zu Beginn des 6.10.2010 eingegangen sei, weswegen das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen sei.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nahm auf diesen Hinweis am 18.10.2010 Stellung und beantragte vorsorglich die Wiedereinsetzung in den Stand vor der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Die Berufungsbegründung sei fristgerecht eingegangen. Ausweislich des Faxübertragungsprotokolls sei um 23.55 Uhr mit der Übertragung begonnen worden und sei diese um 0.02 Uhr beendet gewesen. Dabei sei sein Faxgerät um mehr als zwei Minuten ggü. der offiziellen Zeit vorgestellt gewesen. Jedenfalls sei die Versäumung der Frist nicht durch die Beklagte oder durch ihn verschuldet. Er habe die Berufungsbegründungsschrift auf einem im Sommer 2009 erworbenen Computer gefertigt, der von ihm regelmäßig als Arbeitsgerät genutzt werde. Gegen 23.30 Uhr sei die Formulierung des Schriftsatzes im Wesentlichen abgeschlossen gewesen, als sich der Computer vor dem abschließenden Ausdrucken des Dokuments ohne erkennbare vorherige Anzeichen ausgestellt habe. Der Computer sei dann für ca. 15 Minuten nicht wieder zu starten gewesen. Danach habe er sehr langsam hochgefahren werden können. Um 23.48 Uhr sei der Zugriff auf die Textdatei wieder möglich gewesen. Nach einer kurzen Überprüfung, ob die Datei unbeschädigt und vollständig war, sei der Text sofort ausgedruckt worden, was zwei bis drei Minuten in Anspruch genommen habe. Nach dem Unterschreiben des Schriftsatzes habe er sofort mit der Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax begonnen. Der Übertragungsvorgang habe allerdings pro S. 23,75 Sekunden in Anspruch genommen. Diese überlange Übertragungszeit könne nur an dem Empfangsgerät liegen. Mit einer solch langen Übertragungsdauer brauche üblicherweise nicht gerechnet werden. Spätere probeweise Übertragungen des gleichen Schriftsatzes an ein anderes Faxgerät hätten ganze zwei Minuten und zwei Sekunden bzw. zwei Minuten und 38 Sekunden gedauert.

II.1. Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den Stand vor der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist unbegründet.

a. Zwar ist der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zulässig. Der statthafte Antrag wurde durch anwaltlichen Schriftsatz nach den formalen Anforderungen des § 236 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO gestellt, zudem gem. § 234 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 ZPO fristgerecht.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist statthaft. Die Beklagte hat die mit der Zustellung des Urteils vom 9.7.2010 beginnende, gem. § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO grundsätzlich zwei Monate betragende und mit der Verfügung des Senatsvorsitzenden bis zum 5.10.2010 verlängerte Berufungsbegründungsfrist versäumt. Zwar ging die erste Seite der Begründungsschrift per Telefax noch am 5.10.2010 um 23.53 Uhr bei dem OLG Naumburg ein. Maßgeblich für die Beurteilung des rechtzeitigen Zugangs eines fristwahrenden Schriftsatzes durch Telefax ist aber die vollständige Übermittlung, also der Zeitpunkt, in dem die abschließende, die Unterschrift enthaltende Seite ausgedruckt ist (BGH NJW 1994, 2097; BVerfG, NJW 2000, 574; Gummer/Heßler, in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 519 ZPO Rz. 18d). Die S. 20 der Begründung mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ging aber erst am 6.10.2010 um ...

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