Leitsatz (amtlich)

1. Der Leiter der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft darf bei der Beschlussfassung über die Entlastung des Aufsichtsrats Einzelabstimmung auch dann anordnen, wenn die Einladung zur Hauptversammlung keinen Hinweis auf die Einzelabstimmung enthält.

2. Die Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat, es sei überhaupt keine Entsprechenserklärung i.S.d. § 161 AktG abgegeben worden, genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Erklärung zum Corporate Governance Kodex nicht.

3. Die Erklärung zum Corporate Governance Kodex ist spätestens nach Ablauf eines Jahres nach Abgabe der vorangegangenen Erklärung abzugeben.

4. Beschlüsse über die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats sind nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, wenn Vorstand und Aufsichtsrat der Verpflichtung aus § 161 AktG zur Abgabe der Erklärung zum Corporate Governance Kodex innerhalb der Jahresfrist nicht nachgekommen sind. Unerheblich ist, dass der Pflichtenverstoß erst nach Ablauf des Zeitraums, für den Entlastung zu erteilen war, begangen wurde, wenn der auf die Vergangenheit gerichtete Teil der Erklärung sich ganz oder teilweise auf den Zeitraum, für den Entlastung erteilt wurde, erstreckt.

5. Die nach § 243 Abs. 1 AktG erforderliche Relevanz des Gesetzesverstoßes gegen § 161 AktG ist zu verneinen bei der Einzelentlastung eines Aufsichtsrats, der 10 Tage nach Abgabe einer ordnungsgemäßen Erklärung zum Corporate Governance Kodex innerhalb des Entlastungszeitraums als Aufsichtsratsmitglied ausscheidet, wenn in Bezug auf die Regeln des Corporate Governance Kodex keine gegen die Entlastung sprechenden, nach Abgabe der Erklärung entstandenen Umstände aufgezeigt werden.

 

Normenkette

AktG § 120 Abs. 1, §§ 161, 243 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 31.05.2007; Aktenzeichen 5 HKO 22300/06)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 07.12.2009; Aktenzeichen II ZR 63/08)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des LG München I vom 31.5.2007 dahin abgeändert, dass die Klage, soweit die Anfechtung zu TOP 4 (Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2005) sich gegen die Entlastung der Aufsichtsräte L. und A. richtet, abgewiesen wird.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

II. Von den Kosten beider Instanzen tragen der Kläger 1/5 und die Beklagte 4/5.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten zur Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats.

Am 25.8.2006 fand in H. die Hauptversammlung der Beklagten, einer börsennotierten Aktiengesellschaft, statt, zu der in der schriftlichen Einladung u.a. folgende Tagesordnungspunkte genannt waren:

"I. Entlastung des Vorstandes

Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, den Mitgliedern des Vorstands einschließlich des im Geschäftsjahr ausgeschiedenen Mitglieds für ihre Tätigkeit im Geschäftsjahr 2005 die Entlastung zu erteilen.

II. Entlastung des Aufsichtsrates

Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, den Mitgliedern des Aufsichtsrates einschließlich der im Geschäftsjahr ausgeschiedenen Mitglieder für ihre Tätigkeit im Geschäftsjahr 2005 die Entlastung zu erteilen."

Die Beklagte hatte am 29.4.2005 folgende Entsprechenserklärung nach § 161 AktG abgegeben und auf ihrer Home-Page in das Internet eingestellt:

"Entsprechenserklärung nach § 161 AktG

Des Vorstandes und des Aufsichtsrats der M. AG, vom 29.4.2005 zu den Empfehlungen der Regierungskommission

Deutscher Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 21.5.2003 ...

Die Gesellschaft entsprach bislang den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex gemäß Entsprechenserklärung vom November 2003 mit der Ausnahme, dass die gemäß Kodex Ziff. 7.1.2 geforderte öffentliche Zugänglichmachung der Zwischenberichte binnen 45 Tagen nach Ende des Berichtszeitraums einmal nicht eingehalten werden konnte und mit der Ausnahme, dass die gemäß Kodex Ziff. 4.2.4 geforderte Offenlegung der Vergütung der Vorstandsmitglieder im Anhang des Konzernabschlusses für 2004 nicht erfolgte. Die Gesellschaft wird zukünftig diesen Empfehlungen mit folgenden Ausnahmen entsprechen:..." (Es folgen Angaben zu Abweichungen von den Kodex Ziff. 3.8, 4.2.4, 5.1.2, 5.2. (2. Absatz), 5.3.1/5.3.2, 5.4.5 und 6.5; vgl. Anlage K 2)."

Die Beklagte gab nach dem 29.4.2005 bis zur Hauptversammlung vom 25.8.2006 eine Entsprechenserklärung nach § 161 AktG nicht mehr ab und wies in dem Geschäftsbericht für das Jahr 2005 auf diesen Umstand hin. Sie veröffentlichte weiterhin auf ihrer Internetseite die Entsprechenserklärung vom 29.4.2005.

Am 9.5.2005 schieden L. und A. als Aufsichtsräte der Beklagten aus.

Der Kläger hat in der Hauptversammlung vom 25.8.2006 u.a. die auf den Seiten 4 und 5 der Klageschrift im Einzelnen aufgeführten Fragen, auf...

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