Leitsatz (amtlich)

Wird ein selektives Vertriebssystem in einigen oder allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union praktiziert, so findet eine Abschottung der nationalen Märkte durch ein vertragliches Verbot nur statt, wenn den Vertragshändlern auch die Belieferung von Vertragshändlern in den anderen Mitgliedstaaten untersagt ist; denn dann werden auch innerhalb des Vertriebssystems nationale Schranken errichtet.

 

Verfahrensgang

LG München I (Aktenzeichen 33 O 691/16)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 15.10.2020; Aktenzeichen I ZR 147/18)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten zu 2. gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 26. September 2017 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Betragsangabe in Ziffer I. 4. des Urteils des Landgerichts "986,95 EUR" statt "996,95 EUR" lautet.

II. Die Beklagte zu 2. hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts, soweit es mit der Berufung angegriffen worden ist, sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 2. kann die Vollstreckung aus Ziffer I. 1. des Urteils des Landgerichts durch Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,- EUR und die Vollstreckung aus den Ziffern I. 2. und 3. des Urteils des Landgerichts durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 7.500,- EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte zu 2. die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Gründe

A. Die Klägerin ist eine Konzerngesellschaft der C. Group, die Duftwässer herstellt und vertreibt. Die ebenfalls zu diesem Konzern gehörende C B.V. ist Inhaberin der 2003 eingetragenen Unionsmarke Nr. 002786713 JOOP!, die Schutz unter anderem für Parfümerien beansprucht (vgl. Anl. K 1; im Folgenden: Klagemarke).

Die C Group bedient sich für den Vertrieb ihrer Waren eines selektiven Systems. Der von der Klägerin verwendete Muster-Depotvertrag (vgl. Anl. B 8) mit ihren Händlern, im Vertrag "Depositär" genannt, enthält unter anderem folgende Regelungen:

Art. 2 Selektionskriterien

[...]

2.6 Mindesteinkäufe

2.6.1 [Die Klägerin] investiert ständig in Forschung und Entwicklung, platziert Produktneuheiten und investiert in Verkaufsunterstützung und Werbung. Als Nutznießer dieser Aktivitäten wird vom Depositär ein Nachweis eigener Verkaufsanstrengungen durch Erreichung eines jährlichen Mindestumsatzes erwartet. Die Standarduntergrenze dieses Mindesteinkaufs beträgt 40 % der durchschnittlichen Einkäufe sämtlicher Depositäre im gleichen Absatzmarkt. [...]

2.6.2 Für die Berechnung des Mindesteinkaufs zählen nur solche Einkäufe des Depositärs, die dieser direkt bei [der Klägerin] für sich selbst getätigt hat. Ebenfalls für die Mindesteinkäufe nicht berücksichtigungsfähig sind solche Einkäufe, die später an andere Depositäre weiterveräußert worden sind.

[...]

Art. 5 Verkaufsbeschränkungen und Verkaufskontrolle

[...]

5.2 Verkaufsbeschränkung auf den Endverbraucher

Der Depositär ist nur dazu berechtigt, die Produkte an Endverbraucher und zu keinem anderen Zweck als für den Privatgebrauch (einschließlich Geschenke) abzugeben. [...] Der Depositär darf deshalb die Produkte nicht in größeren Mengen als Haushaltsmengen (drei gleiche Produkte pro Verkauf) abgeben. Der Depositär ist ferner nicht dazu berechtigt, die Produkte an Adressen außerhalb des geografischen Raums des Europäischen Wirtschaftsraums [...] zu veräußern. Einem Weiterverkauf oder einem Inverkehrbringen der Vertragsprodukte, die nicht den vorstehenden Bedingungen entsprechen, stimmt [die Klägerin] ausdrücklich nicht zu.

5.3 EU-Klausel

Als Ausnahme der Beschränkungen unter vorstehender Ziffer 5.2 ist der Depositär dazu berechtigt, die Produkte auch an andere Depositäre in irgendeinem Mitgliedstaat des EWR abzugeben. Des weiteren ist der Depositär dazu berechtigt, die Produkte auch von anderen Depositären innerhalb des EWR für sich selbst einzukaufen. Jeglicher Einkauf und jeglicher Verkauf der Produkte, die diesen Vorgaben nicht entsprechen, ist verboten, Insbesondere ist das Angebot und der Weiterverkauf von Produkten, die erstmals nicht innerhalb des EWR auf den Markt gebracht worden sind, sowohl als Vertragsverletzung als auch als Markenverletzung verboten.

5.4 Sorgfaltspflichten

Der Depositär verpflichtet sich, mit anderen Depositären nur unter den nachfolgenden Bedingungen Geschäfte abzuschließen:

5.4.1 Vor jeglichem Einkauf oder Weiterverkauf der Produkte von oder an einen anderen Depositär hat sich der Depositär zu vergewissern, dass die Produkte nicht das selektive Vertriebsnetz [der Klägerin] innerhalb des EWR verlassen. Insbesondere wird der Depositär (1) sich darüber versichern, ob es sich bei dem Einkäufer oder Lieferanten tatsächlich um einen autorisierten Absatzmittler [der Klägerin] handelt, (2) unverzüglich Kontakt mit [der Klägerin] aufnehmen, wenn in dieser Bezie...

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