Die wesentlichen Neuerungen der Vertikal-GVO


Die wesentlichen Neuerungen der Vertikal-GVO

Die neue Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 2022/720) erlaubt in weiterem Umfang als bisher Kooperationen auf vertikaler Ebene, insbesondere im Alleinvertrieb, im dualen Vertrieb und in selektiven Vertriebssystemen. Daneben regelt die Vertikal-GVO auch erstmals den Bereich E-Commerce, indem Regelungen zum Zugang zu Online-Plattformen und für den Internetvertrieb gegeben werden.

Neudefinition und Stärkung des Alleinvertriebs

Die Vertikal-GVO definiert den Alleinvertrieb neu. In Art. 1 Abs. 1 lit. h) Vertikal-GVO wird ein Alleinvertriebssystem definiert, als Vertriebssystem, 


"in denen der Anbieter ein Gebiet oder eine Kundengruppe sich selbst oder höchstens fünf Abnehmern exklusiv zuweist […]".


Ein Anbieter muss sich daher nicht wie bisher nur auf einen Händler verlassen, um ein Alleinvertriebssystem zu unterhalten. Er kann vielmehr bis zu fünf Abnehmer je Vertriebsgebiet oder Kundengruppe zuweisen und so eine breitere Basis für den Absatz schaffen. In einem solchen Alleinvertriebssystem kann der Anbieter den verschiedenen Abnehmern innerhalb der Ausnahmen nach Art. 4 lit. b) Vertikal-GVO weitreichende Beschränkungen auferlegen, wie z.B. Beschränkungen des Verkaufs an Gebiete oder Kunden, die anderen exklusiv zugewiesen sind oder Beschränkungen des Niederlassungsorts der Abnehmer.

Schutz und Kombination des Alleinvertriebs und selektiver Vertriebssysteme

Die neue Vertikal-GVO bietet zudem einen besseren Schutz der Vertriebssysteme und ermöglicht flexiblere Kombinationen derselben in verschiedenen Gebieten.
In einem Alleinvertriebssystem sind Anbieter und bis zu fünf Abnehmer exklusiv für ein Gebiet oder eine Kundengruppe zugewiesen, Wettbewerb durch Dritte wird ausgeschlossen. Ein selektives Vertriebssystem verpflichtet den Anbieter dagegen, Waren und Dienstleistungen nur an Händler zu verkaufen, die bestimmten vorher festgelegten, objektiven Kriterien entsprechen. So kann z.B. der Weiterverkauf nur durch Fachhändler zum Erhalt einer Markenreputation vorgeschrieben werden.
Der Anbieter kann seine Abnehmer von bestimmten Gebieten und Kunden gem. Art. 4 lit. b) und c) ausschließen, sowohl im Bereich des Alleinvertriebs wie auch selektiver Vertriebssysteme. In Alleinvertriebssystemen kann der Anbieter seinen Alleinvertriebshändlern die Beschränkung auferlegen, keinen aktiven Verkauf in andere Exklusivgebiete oder an solche Kunden zu tätigen. Ebenso kann er die Abnehmer verpflichten nicht an Händler zu verkaufen, die nicht den Kriterien eines eingerichteten selektiven Vertriebssystems entsprechen. Der Anbieter kann neuerdings auch seine Abnehmer im Alleinvertriebssystem bzw. im selektiven Vertriebssystem dazu verpflichten, die eigenen Vertriebsbeschränkungen vertraglich an ihre direkten Kunden weiterzugeben. Auf diese Weise kann auch die "zweite Abnehmerstufe" gebunden werden und das Vertriebssystem damit insgesamt gestärkt werden.
Innerhalb des Geltungsbereichs der Vertikal-GVO können in verschiedenen Gebieten jeweils unterschiedliche Vertriebssysteme eingerichtet werden. Die Vertikal-GVO sieht gem. Art. 4 lit. b), c) und d) bestimmte Ausnahmen von den Kernbeschränkungen dafür vor. Danach können die Betreiber je nach Gebiet Alleinvertriebssysteme, selektive Vertriebssysteme oder freien Vertrieb vorsehen, und Verkäufe von anderen Abnehmern in solche Gebiete ausschließen, für die Alleinvertrieb oder selekti-ver Vertrieb vorgesehen sind. Auf diese Weise können je nach Gebiet die passenden Vertriebssysteme eingerichtet und sog. "Grauimporte" wirksam ausgeschlossen wer-den.

Dualer Vertrieb – Geltung der Gruppenfreistellung

Neben dem (erweiterten) Alleinvertrieb erlaubt die Gruppenfreistellung Regelungen im dualen Vertriebssystem. Dabei verkauft der Anbieter seine Produkte selbst im Vertriebsgebiet; daneben bedient er sich unabhängiger Händler für den Vertrieb. Er tritt damit selbst als Wettbewerber im Verhältnis zu seinen Händlern auf.
Art. 2 Abs. 4 S. 1 Vertikal-GVO stellt klar, dass die Gruppenfreistellung vertikaler Vereinbarungen grundsätzlich nur für Unternehmen gilt, die nicht in Wettbewerb zueinander stehen. Gem. Art. 2 Abs. 4 S. 2 Vertikal-GVO können die vertikalen Vereinbarungen dennoch von der Gruppenfreistellung profitieren, wenn der Anbieter auf der vorgelagerten Stufe als Hersteller, Importeur oder Großhändler tätig ist und der Wettbewerb allein auf die Handelsebene beschränkt ist (Art. 2 Abs. 4 S. 2 lit. a) Vertikal-GVO). Außerdem gilt dies gem. Art. 2 Abs. 4 S. 2 lit. b) Vertikal-GVO auch, wenn der Anbieter Dienstleister auf mehreren Handelsstufen ist und der Abnehmer lediglich auf der Einzelhandelsstufe tätig ist.

Dualer Vertrieb - Informationsaustausch

Daneben sieht die neue Vertikal-GVO für den tatsächlichen Informationsaustausch zwischen Anbieter und Abnehmer im dualen Vertriebssystem gem. Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO einschränkende Regelungen vor. Voraussetzung ist, dass der Informationsaustausch die Umsetzung der vertikalen Vereinbarung zum Zweck betrifft oder zur Optimierung der Produktions- und Vertriebsprozesse dient.
Rn. 99 der LL Vertikal-GVO nennt beispielhaft einige Informationen, die regelmäßig der Umsetzung der Vereinbarung oder der Optimierung dienen. Dazu gehören technische Informationen (Zertifizierung, Handhabung, etc.), oder solche über Produktionsprozesse, Inventar, Kundenkäufe, -präferenzen und -rückmeldung, sowie die Preise, zu denen der Anbieter an die Abnehmer verkauft.
In Rn. 100 der LL Vertikal-GVO werden dagegen einige Informationen genannt, bei denen es regelmäßig unwahrscheinlich ist, dass diese in einem dualen Vertriebssystem ausgetauscht werden dürfen. Dazu gehören Informationen über künftige Preise der Beteiligten, solche zur Identifikation von Endverbrauchern, sowie Informationen zu Waren, die Dritte herstellen und die der Abnehmer unter seinem eigenen Markennamen verkauft. In diesen Fällen ist der Informationsaustausch in der Regel unzulässig, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls doch dafür sprechen, dass ihm eine wettbewerbsfördernde Wirkung zukommt.

Automatische Verlängerung eines Wettbewerbsverbots

Die Vertikal-GVO bietet neue Möglichkeiten zur Regelung von vertraglichen Wettbewerbsverboten.
Gem. Art. 5 Abs. 1 lit. a Vertikal-GVO sind vertragliche Wettbewerbsverbote, die für eine unbestimmte Dauer oder für eine Dauer von mehr als fünf Jahren gelten, nicht freigestellt. Im Umkehrschluss sind solche für eine Dauer von fünf Jahren generell zulässig. Die Leitlinien zur Vertikal-GVO stellen weiter klar, dass genauso eine Regelung zur stillschweigenden automatischen Verlängerung des Wettbewerbsverbots zu-lässig ist, solange der Abnehmer die Vereinbarung "mit einer angemessenen Kündigungsfrist und zu angemessenen Kosten wirksam neu aushandeln oder kündigen kann, sodass er nach Ablauf der Fünfjahresfrist seinen Anbieter effektiv wechseln könnte" (Rn. 248 LL Vertikal-GVO). Die in der Praxis üblichen Regelungen werden damit weitegehend freigestellt. Die Freistellung gilt seit dem Inkrafttreten auch für bestehende Vereinbarungen.

Online-Plattformen und Vermittlungsdienste

Als wesentliche Neuerung kommt eine umfassende Regelung der Online-Plattformwirtschaft hinzu.

Siehe dazu nächstes Kapitel.

Fazit 

Die neue Vertikal-GVO bietet in weiterem Umfang als bisher die Möglichkeit auf vertraglicher Basis verschiedene Vertriebssysteme einzurichten, die Zusammenarbeit darin zu regeln und diese effektiv gegen störende Einflüsse zu verteidigen. Dementsprechend wichtig ist es für Hersteller, Importeure und Großhändler genauso wie für den abnehmenden Einzelhandel, die Zusammenarbeit auf eine angemessene vertragliche Grundlage zu stellen. Bestehende Verträge sollten überprüft und ggf. aktualisiert werden

Schlagworte zum Thema:  Kartellrecht