Vertikal-GVO: Wichtige Neuregelungen

§ 1 GWB und Art. 101 AEUV regeln mit beinahe gleichem Wortlaut, dass Vereinbarungen zwischen Unternehmen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten sind. Das Kartellverbot gilt für alle Vereinbarungen und Verhaltensweisen, die sich auf den Markt im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) auswirken (d.h. innerhalb der Europäischen Union, Norwegen, Island und Liechtenstein). "Vereinbarungen" und "aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen" können in jedem beliebigen Vertrag, Informationsaustausch oder sonstigem Kontakt zwischen Unternehmen liegen. Die Vertikal-GVO erlaubt in weitem Umfang Ausnahmen vom Kartellverbot im "Vertikalverhältnis".

Unterscheidung des Horizontal- und Vertikalverhältnisses

Für die Anwendung der Vertikal-GVO ist zu unterscheiden zwischen dem Verhältnis von Unternehmen, die in Wettbewerb zueinanderstehen (Horizontalverhältnis), und Unternehmen, die keine Wettbewerber sind, sondern auf verschiedenen Produktions- oder Vertriebsstufen stehen (Vertikalverhältnis). Um als Wettbewerber im Sinne des Kartellrechts zu gelten, genügt es, dass die Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren und Dienstleistungen miteinander konkurrieren.
Das Kartellrecht verbietet weitgehend Kooperationen zwischen Unternehmen im Horizontalverhältnis. Hierzu gehören klassische Kartellvereinbarungen wie Preisabsprachen, Marktaufteilungen, sowie Gebiets- und Kundenzuweisungen. Unternehmen sollen im weitest möglichen Umfang selbstständig Entscheidungen auf Grundlage eigener Informationen treffen und unabhängig von Wettbewerbern agieren (das sog. "Selbstständigkeitspostulat").
Eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen im Vertikalverhältnis, d.h. auf verschiedenen Produktions- und Vertriebsstufen, ist bei Nicht-Wettbewerbern wenig problematisch und kann sogar zu einer Förderung des Wettbewerbs auf den betroffenen Märkten führen. Die Vertikal-GVO trägt dieser Interessenlage Rechnung, indem im Vertikalverhältnis eine Vielzahl von möglichen Vereinbarungen und Verhaltensweisen ganz prinzipiell erlaubt werden.

Generelle Freistellung und Marktanteilsschwellen

Gem. Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO gilt das Kartellverbot grundsätzlich nicht für Bestimmungen in vertikalen Vereinbarungen. Unternehmen auf unterschiedlichen Produktions- und Vertriebsstufen, insbesondere Hersteller und Händler, können danach in weitem Umfang Vereinbarungen zum Alleinvertrieb, selektiven Vertrieb und ähnlichen Strukturen abschließen. Voraussetzung für diese generelle Freistellung ist jedoch gem. Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO, dass der Marktanteil sowohl des Anbieters als auch des Abnehmers jeweils nicht mehr als 30 % beträgt. Zur Berechnung des Marktanteils werden alle Konzernunternehmen von Anbieter und Abnehmer hinzuberechnet.


Unterhalb dieser Schwelle wird generell vermutet, dass vertikale Vereinbarungen, die nicht bestimmte Arten schwerwiegender Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, im Allgemeinen zu einer Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs führen. Oberhalb dieser Schwelle muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Vereinbarung nach den allgemeinen Regelungen (§§ 1, 2 GWB, Art. 101 AEUV) gegen das Kartell-verbot verstößt bzw. ob eine Einzelfreistellung wegen wettbewerbsfördernder Um-stände möglich ist.

Kernbeschränkungen nach Art. 4 Vertikal-GVO – "Schwarze Klauseln"

Gem. Art. 4 Vertikal-GVO gilt die Freistellung nicht, wenn die Vereinbarung bestimmte darin aufgeführte Kernbeschränkungen enthält. In diesem Fall verliert das gesamte Vertragswerk seine Freistellung nach der Verordnung.
Zu diesen "schwarzen" Kernbeschränkungen gehören

  • die Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, selbst seine Verkaufspreise festzusetzen (lit. a),
  • zu weitgehende Gebiets- und Kundenbeschränkungen in Vertriebssystemen (lit. b, c und d),
  • die Verhinderung der wirksamen Nutzung des Internets zum Verkauf der Waren und Dienstleistungen (lit. e) und
  • die Beschränkung des Verkaufs von Ersatzteilen durch den Anbieter (lit. f).

Dagegen erlaubt Art. 4 lit. a) i) und ii) Vertikal-GVO das Verbot des aktiven Verkaufs durch Alleinvertriebshändler an (andere) Exklusivgebiete oder-kunden und des Verkaufs an Händler, die nicht den Kriterien des selektiven Vertriebssystems entsprechen. Die vereinbarten Vertriebssysteme können so effektiv vor Importen aus benachbarten Gebieten geschützt werden. 

Nicht freigestellte Beschränkungen nach Art. 5 - "Graue Klauseln"

Art. 5 Abs. 1 Vertikal-GVO enthält weitere nicht freigestellte Beschränkungen. Bei diesen Klauseln entfällt nicht die Freistellung für den ganzen Vertrag, sondern nur für die jeweilige Klausel. Diese ist dann, wenn sie nicht im Einzelfall gem. § 2 GWB, Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt ist, kartellrechtswidrig.

  • Zu den "grauen" Beschränkungen gehören gem. Art. 5 Abs. 1 lit. a Wettbewerbsverbote, die für eine unbestimmte Dauer oder für eine Dauer von mehr als fünf Jahren gelten. Dagegen dürfen Klauseln eine automatische Verlängerung oder Neuverhandlung nach Ablauf von fünf Jahren vorsehen, wenn die Bedingungen keine unangemessenen Beschränkungen enthalten. Daneben sind solche Klauseln nicht freigestellt, die den Abnehmer auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses unangemessen binden (lit. b), den Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems den Ver-trieb anderer Marken untersagen (lit. c) oder einen Abnehmer verpflichten seine Waren und Dienstleistungen exklusiv über einen Online-Vermittlungsdienst anzubieten (lit. d).
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