Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall -Sorgfaltspflichtverletzung eines Ausfahrendes

 

Normenkette

StVO § 1 Abs. 2, § 10; ZPO § 529 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Deggendorf (Urteil vom 27.09.2017; Aktenzeichen 22 O 80/17)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 20.10.2017 wird das Endurteil des Landgerichts Deggendorf vom 27.09.2017 (Az. 22 O 80/17) dahin abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.

2. Die Berufung der Klägerin vom 07.11.2017 wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

I. Bei der Einfahrt vom klägerischen Grundstück in die Straße "Am Sonnenhügel" hatte die Klägerin die Gefährdung der Beklagten zu 1) als Teilnehmerin des fließenden Verkehrs gem. § 10 StVO auszuschließen und die höchste Sorgfaltsanforderung zu erfüllen, welche die StVO kennt. Dies gilt auch gegenüber einem Verkehrsteilnehmer der aus einer wartepflichtigen Seitenstraße erst in die Straße einbiegt, in die auch der aus der Grundstücksfahrt Einfahrende hineinfahren möchte (vgl. BayObLG St. 1969, 60). Das Ausfahren endet erst, wenn sich der Einbiegende in zügiger Fahrt in den fließenden Verkehr eingeordnet oder sein Fahrzeug verkehrsgerecht am Fahrbahnrand oder an anderer Stelle abgestellt hat (OLG Düsseldorf VersR 1981, 754 = VRS 60 [1981] 420 m.w.N.; OLG Köln VRS 109 [2006] 99 = OLGR 2006, 7 = DAR 2006, 27 = VerkMitt 2006, 18 Nr. 19; OLG Celle NZV 2006, 309; KG VRS 112 [2007] 332 [335] = NZV 2007, 359; Jagow/Janker/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 10 Rz. 10 a.E.; Senat, Urteil vom 20.05.2011 - 10 U 3958/10, juris). Dies war hier nicht der Fall. Gegen den gegen § 10 StVO Verstoßenden gilt ein Anscheinsbeweis, den er zu erschüttern hat, was der Klägerin nicht gelungen ist. Die Beklagte zu 1) durfte angesichts der geringen Geschwindigkeiten auch darauf vertrauen, dass die Klägerin, die nach dem Sachverständigengutachten die Beklagte zu 1) in der Annäherung unproblematisch bei Blickzuwendung erkennen hätte können, ihr Vorfahrtsrecht achtet und von einer Einfahrt in den fließenden Verkehr Abstand nimmt. Einen Verkehrsverstoß der Beklagten zu 1) hat die Klägerin nicht bewiesen. Da der Verkehrsverstoß der Klägerin so schwerwiegt, tritt auch eine etwaige Haftung der Beklagten aus Betriebsgefahr dahinter zurück, so dass die Berufung der Beklagten Erfolg haben muss und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen ist.

Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wurden mit der Berufung nicht hinreichend angegriffen. Da auch keine Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestehen, sind sie der Entscheidung über die Berufung zugrunde zu legen. Aus der vom Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 22.08.2017 übergebenen und vom Landgericht nicht hinreichend gewürdigten "Übersichtsskizze" (Anlage zum Protokoll vom 22.08.2017 = Bl. 51/58 d.A.) ist ersichtlich, dass die Klägerin zum Kollisionszeitpunkt etwa mit halber Fahrzeuglänge quer auf der Fahrspur der Beklagten zu 1) stand. Das klägerische Fahrzeug war damit (noch) nicht in den fließenden Verkehr eingeordnet. Das Ausfahren wird zudem selbst dadurch nicht beendet, dass das ausfahrende Fahrzeug bereits längere Zeit in der Position gestanden ist, in der sich die Kollision ereignete (KG a.a.O.), zumal dies vorliegend nicht nachgewiesen ist. Kommt es - wie vorliegend - in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ausfahrenden (Jagow/Janker/Burmann a.a.O. Rz. 8 m.w.N.), den die Klägerin vorliegend nicht widerlegen konnte. Die Beklagte zu 1) war Teil des fließenden Verkehrs. Dem steht nicht entgegen, dass sie vom K1.weg in die Straße "Am Sonnenhügel" nach rechts einbog.

Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht des Ausfahrenden führt dazu, dass bei einem Unfall i.d.R. von einer Alleinhaftung des Ausfahrenden auszugehen ist; die Betriebsgefahr des sich im fließenden Verkehr Befindenden tritt regelmäßig zurück (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl. 2008, Rz. 66 mit umfass. Rechtsprechungsübersicht; Jagow/Janker/Burmann a.a.O. Rz. 8). Der fließende Verkehr darf in der Regel darauf vertrauen, dass sein Vorrang beachtet wird (BGH VRS 56 [1979] 202 [203]; KG, Urt. v. 07.02.1994 - 12 U 3844/92 m.w.N.; Senat, Urteil vom 20.05.2011, a.a.O.). Diese weitreichende Pflicht des Ausfahrenden schließt natürlich eine Mitschuld des bevorrechtigten Fahrers nicht aus (Senat, Urteil vom 20.05.2011, a.a.O.).

Eine derartige Mitschuld der Beklagten zu 1), die hier allen...

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