Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsunfall; Haftung bei rückwärtigem Ausfahren aus einer Grundstückseinfahrt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO bedarf keiner ausdrücklichen Hervorhebung seiner Einstimmigkeit; diese ergibt sich vielmehr aus der Natur der Sache.

2. Wer rückwärts aus einer Grundstückseinfahrt auf die Straße setzt und einem anderen Fahrzeug die Vorfahrt nimmt, haftet für die Folgen eines Unfalls regelmäßig zu 100 %.

 

Normenkette

StVG §§ 7, 17; StVO §§ 9-10; ZPO § 522

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Urteil vom 30.06.2011; Aktenzeichen 4 O 3/11)

 

Tenor

Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 30.6.2011 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Bonn - 4 O 3/11 - gem. § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagten erhalten Gelegenheit, zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

 

Gründe

I. Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO). Das LG hat die Beklagten mit Recht und mit zutreffenden Erwägungen, die sich der Senat zu Eigen macht und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, zu Schadensersatzleistungen im tenorierten Umfang verurteilt.

Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine andere, ihnen günstigere Beurteilung. Auch eine weitere Sachaufklärung ist nicht geboten.

1. Das LG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte zu 1) allein den Verkehrsunfall am 6.3.2010 und den daraus entstandenen Schaden des Klägers schuldhaft dadurch verursacht hat, dass sie unter Verletzung der gem. § 9 Abs. 5, § 10 Satz 1 StVO geforderten Sorgfalt aus der Einfahrt G. Straße 30 kommend rückwärts in die G.-Straße auf die rechte Fahrspur einbog, ohne das entgegenkommende Motorrad des Klägers durchfahren zu lassen. Neben den besonderen Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO beim Abbiegen in ein Grundstück, Wenden und Rückwärtsfahren legt § 10 Satz 1 StVO dem aus einem Grundstück auf die Straße einfahrenden Fahrzeugführer in Hinblick auf das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gegenüber einem auf eine Straße Einfahrenden ebenfalls gesteigerte Pflichten auf (vgl. BGH MDR 2011, 1348 mit weiteren Nachweisen). Die Verletzung des Vorfahrtsrechts durch den in die Straße Einfahrenden indiziert sein Verschulden (vgl. BGH, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Wahrt der Einfahrende das Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs nicht und kommt es deshalb zu einem Unfall, hat er in der Regel, wenn keine Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfange oder doch zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften (vgl. BGH, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Demgegenüber darf der im fließenden Verkehr sich bewegende Vorfahrtberechtigte, sofern nicht Anzeichen für eine bestehende Vorfahrtverletzung sprechen, darauf vertrauen, dass der Einbiegende sein Vorfahrtsrecht beachten werde (vgl. BGH, a.a.O.).

So liegt hier der Fall aber auch nach der Schilderung der Beklagten, so dass es einer weiteren Sachaufklärung, sei es durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens oder durch Vernehmung von Zeugen, nicht bedurfte und auch der Senat keine Veranlassung zu einer weiteren Sachaufklärung sieht. Die Beklagten haben vorgetragen, dass die Beklagte zu 1) ihr Fahrzeug zunächst rückwärts aus der Einfahrt gefahren habe. Das Beklagtenfahrzeug habe dann leicht schräg auf der auch vom Kläger benutzten Fahrbahn gestanden, die Beklagte zu 1) habe bereits die Lenkung nach rechts eingeschlagen und sei im Begriff gewesen, weiter vorwärts fahren, als der Kläger in die linke Seite des Beklagtenfahrzeugs hinein gefahren sei. Damit stimmen auch die Angaben der Beklagten zu 1) bei ihrer Anhörung vor dem LG überein (vgl. Sitzungsprotokoll vom 5.5.2011, Bl. 143 GA). Der Senat sieht auch, dass für diese Schilderung sowohl die Position der Fahrzeuge nach dem Unfall als auch Schäden am Beklagtenfahrzeug und nicht zuletzt auch die nach rechts ausgerichtete Position der Vorderräder spricht, wenngleich der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Q. dafür andere Ursachen nicht ausgeschlossen hat. Das ändert freilich nichts an der alleinigen Haftung der Beklagten. Denn der Einbiegevorgang in die G.-Straße war damit noch nicht abgeschlossen. Der Vorgang des Ausfahrens aus einem Grundstück auf die Fahrbahn dauert mit dem Erfordernis der höchsten Sorgfaltsstufe für den Fahrer nämlich solange an, bis er in zügiger Fahrt selbst zum fließenden Verkehr gehört oder sein Fahrzeug verkehrsgerecht am Fahrbahnrand oder an anderer Stelle abgestellt hat (vgl. OLG Düsseldorf VRS Bd. 60, 420; OLG Celle NZV 2006,309). In diesem Sinne hatte die Beklagte zu 1) aber auch nach ihren Angaben und dem Vorbringen der Beklagten selbst den Einbiegevorgang in...

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