Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an einen Rechnungsabschluss im Kontokorrentverhältnis. Vorliegen einer Rechtsmissbräuchlichkeit von Widersprüchen des Insolvenzverwalters gegen Belastungsbuchungen im Hinblick auf das Zahlungsverbot des § 64 GmbHG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Tageskontoauszug, der keine Besonderheiten aufweist, kann nicht als Rechnungsabschluss i.S. von § 355 Abs. 1 HGB angesehen werden.

2. Widersprüche des (vorläufigen) Insolvenzverwalters gegen Belastungsbuchungen auf dem Bankkonto der späteren Insolvenzschuldnerin stellen sich im Vorfeld einer Insolvenz im Hinblick auf das Zahlungsverbot des § 64 GmbHG nicht als vorsätzlich rechtsmissbräuchlich i.S. von § 826 BGB dar.

 

Normenkette

HGB § 355 Abs. 1; GmbHG § 64; BGB § 826

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 23.04.2009; Aktenzeichen I-6 U 65/08)

LG Bonn (Urteil vom 03.03.2009; Aktenzeichen 3 O 317/08)

KG Berlin (Urteil vom 02.12.2008; Aktenzeichen 13 U 8/08)

BGH (Urteil vom 25.10.2007; Aktenzeichen IX ZR 217/06)

BGH (Urteil vom 04.11.2004; Aktenzeichen IX ZR 22/03)

Schleswig-Holsteinisches OLG (Entscheidung vom 13.03.2001; Aktenzeichen 3 U 174/99)

BGH (Entscheidung vom 24.04.1985; Aktenzeichen I ZR 176/83)

BGH (Entscheidung vom 28.11.1980; Aktenzeichen I ZR 159/78)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 08.11.2011; Aktenzeichen XI ZR 158/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 3. März 2009 verkündete

Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 3 O 317/08 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen

 

Tatbestand

I.

Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter der S. I. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) die Auszahlung eines Kontoguthabens, nachdem er sämtlichen Belastungen des Geschäftsgirokontos der Schuldnerin durch Lastschriften im ersten Quartal 2008 die Genehmigung versagt hat.

Der Kläger wurde am 20. Dezember 2007 (nach einem Gläubigereröffnungsantrag vom 12. Oktober 2007) zunächst zum Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren bestellt. Vom 1. Januar bis 27. Februar 2008 wurde das Konto der Schuldnerin mit Einzugsermächtigungslastschriften in Höhe von insgesamt 9.768,256 – abzüglich einer Wiedergutschrift von 346,00 EUR im Februar 2008 – belastet. Im März 2008 wurde das Konto aufgelöst, wovon die Beklagte die Schuldnerin mit Schreiben vom 11. März 2008 – dessen Zugang streitig ist – unter Beifügung eines Schlusskontoauszugs mit Angabe eines Sollstands von 40,59 EUR unterrichtete. Am 30. April 2008 wurde der Kläger mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Insolvenzverwalter bestellt und widersprach mit Schreiben vom 12. Juni 2008 sämtlichen Lastschriften des ersten Quartals 2008. Seine Aufforderung zur Wiedergutschrift der Belastungsbuchungen und Überweisung des sich danach ergebenden Saldos wies die Beklagte mit Schreiben vom 24. Juni 2008 zurück.

Mit Urteil vom 3. März 2009 – auf das wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstands, der dort gestellten Anträge und der Würdigung des Streitstoffs durch die Zivilkammer Bezug genommen wird – hat das Landgericht der Klage auf Auszahlung der Belastungsbuchungen von 9.768,26 EUR unter Abzug des wieder gutgeschriebenen Betrages von 346,00 EUR und des Debets von 40,59 EUR stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Lastschriften seien vor dem Widerspruch des Klägers noch nicht genehmigt gewesen. Die Genehmigungsfiktion in Nr. 7 Abs. 5 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Beklagten greife nicht ein, weil das Schreiben der Beklagten vom 11. März 2008 und der mitgesandte Kontoauszug – unabhängig von der Frage des Zugangs – nicht hinreichend als Rechnungsabschluss gekennzeichnet gewesen seien. Eine konkludente Genehmigung durch widerspruchlose Fortführung des Kontos durch die Schuldnerin bis zur Kontoauflösung komme nicht in Betracht, weil die sechswöchige Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen den Saldo noch lief bzw. noch nicht begonnen habe und in einem solchen Fall – ohne weitere Anhaltspunkte – allein aufgrund der Kontoführung nicht auf eine Genehmigung geschlossen werden könne. Auch in dem Verhalten des Klägers liege keine konkludente Genehmigung. Schließlich sei der Kläger – unabhängig von der umstrittenen Frage, ob ein Insolvenzverwalter selbst dann zum Widerspruch berechtigt ist, wenn dem Widerspruch des Schuldners § 826 BGB entgegenstehen würde – zum Widerspruch berechtigt gewesen, weil im Juni 2008 auch ein Widerspruch der Schuldnerin im Hinblick auf das für sie dann geltende Zahlungsverbot des § 64 GmbHG im Widerspruch zu ihren Zahlungspflichten gegenüber den Gläubigern jedenfalls keine sittenwidrige Schädigung dargestellt haben würde.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Berufung der Beklagten, die ihr er...

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