Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordnungswidrigkeitenrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Wartepflicht des Gerichts, wenn der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden ist.

 

Normenkette

OWiG §§ 73-74, 80

 

Tenor

  • I.

    Der Zulassungsantrag wird als unbegründet verworfen.

  • II.

    Die Rechtsbeschwerde gilt damit als zurückgenommen (§ 80 Abs. 4 S. 4 OWiG).

  • III.

    Die Kosten des Verfahrens vor dem Beschwerdegericht trägt die Betroffene.

 

Gründe

I.

Gegen die Betroffene ist durch das angefochtene Urteil wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (scil.: außerhalb geschlossener Ortschaften) auf eine Geldbuße von 150,00 € erkannt worden.

Mit ihrem hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Versagung des rechtlichen Gehörs und beanstandet allgemein die Verletzung sachlichen Rechts.

II.

Der in formeller Hinsicht unbedenkliche Zulassungsantrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.

In dem angefochtenen Urteil ist ausschließlich eine Geldbuße von nicht mehr als 250,00 € festgesetzt worden. Die Rechtsbeschwerde ist daher nicht nach § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG ohne weiteres statthaft, sondern bedarf gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG der Zulassung. Deren gesetzliche Voraussetzungen sind hier allerdings nicht gegeben.

Nach § 80 Abs. 1 OWiG kann die Rechtsbeschwerde bei weniger bedeutsamen Ordnungswidrigkeiten, bei denen sie grundsätzlich ausgeschlossen ist, nur ausnahmsweise zugelassen werden, soweit dies nämlich geboten ist, um den Oberlandesgerichten im allgemeinen Interesse Gelegenheit zu geben, durch eine Entscheidung zur Rechtsfortbildung oder zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung beizutragen. Sinn der Regelung ist mithin nicht die Herstellung der rechtlich richtigen Entscheidung im Einzelfall (vgl. SenE v. 24.01.2000 - Ss 191/99 Z -; SenE v. 10.11.2000 - Ss 462/00 Z - = VRS 100, 33 = NZV 2001, 137 [138]; SenE v. 08.01.2001 - Ss 545/00 Z - = DAR 2001, 179 = VRS 100, 189 [190]; Göhler/Seitz-Bauer, OWiG, 18. Auflage 2021, § 80 Rz. 3 ff.; KK-OWiG-Hadamitzky, 5. Auflage 2018, § 80 Rz. 1 m. w. Nachw.).

Im Einzelnen sieht die Bestimmung des § 80 Abs. 1 OWiG vor, dass die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden kann, wenn dies entweder zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (Nr. 1) oder wenn die Aufhebung des Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs geboten ist (Nr. 2).

Beide Voraussetzungen, die danach die Zulassung der Rechtsbeschwerde ermöglichen, liegen hier nicht vor.

1.

Eine Versagung des rechtlichen Gehörs, die mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend zu machen ist (st. Senatsrechtsprechung s. nur SenE v. 20.01.2011 - III-1 RBs 316/10 -; SenE v. 04.09.2015 - III-1 RBs 293/15 -; SenE v. 23.10.2015 - III-1 RBs 362/15 -; SenE v. 21.09.2016 - III-1 RBs 282/16 -; SenE v. 07.04.2020 - III-1 RBs 110/20 -), ist im Ergebnis nicht dargetan.

a)

Die von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbundene, anwaltlich vertretene Betroffene rügt als Verletzung des rechtlichen Gehörs, dass die Tatrichterin trotz Nichterscheinens eines Verteidigers/einer Verteidigerin die Hauptverhandlung zur festgesetzten Terminsstunde, 12:20 Uhr , begonnen und diese um 12:30 Uhr beendet hätte, ohne eine Wartezeit von 15 Minuten einzuhalten. Hätte sie diese eingehalten, wäre die Unterbevollmächtigte innerhalb dieser Zeit erschienen, hätte der Verwertung des Messergebnisses widersprochen und einen diesbezüglichen Beweisantrag gestellt.

b)

Diese Rüge ist nicht in einer §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise ausgeführt.

Ist der Betroffene - wie vorliegend - von seinem persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 1 S. 1 OWiG entbunden, so muss das Gericht grundsätzlich nicht damit rechnen, dass der Betroffene und sein Verteidiger zu spät erscheinen und darf daher mit der Hauptverhandlung auch pünktlich beginnen (KG NZV 2016, 244; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 320; KK-OWiG-Senge 5. Auflage 2018, § 74 Rz. 5; Göhler-Seitz/Bauer, OWiG, 18. Auflage, § 74 Rz. 4; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 74 Rz. 7; BeckOK-OWiG-Hettenbach, 38. Edition Stand 01.04.2023; Haus/Krumm/Quarch-Krenberger, OWiG, 3. Auflage 2021, § 74 Rz. 2; zweifelnd - aber nicht tragend - OLG Hamm NZV 1997, 408 a. A.: Gassner/Seith-Krumm, 2. Auflage 2020, § 74 Rz. 5).

Anderes gilt, wenn der Verteidiger zum Ausdruck gebracht hat, dass er an der Hauptverhandlung teilnehmen wolle. In einem solchen Fall ist eine geringfügige - regelmäßig mit 15 Minuten angegebene - Verspätung in Rechnung zu stellen und über die angesetzte Terminsstunde hinaus zuzuwarten (). Eine solche Sachgestaltung kann vorliegen, wenn sich aus vorterminlichen Ankündigungen und Eingaben des Verteidigers (OLG Hamm VRS 40, 49) oder aber aus dessen gesamten Prozessverhalten (so die der Entscheidung KG NZV 2016, 244 zugrunde liegende Sachgestaltung) ergibt, dass dieser an der Hauptverhandlung teilzunehmen beabsichtigt.

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