Leitsatz (amtlich)

Ergeht gegen den von der Verpflichtung zum Erscheinen entbundenen Betroffenen ein Abwesenheitsurteil nach § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG, obwohl sein Verteidiger zu dem Termin nicht geladen worden und nicht erschienen ist, kann auf Seiten des Betroffenen eine Verletzung rechtlichen Gehörs auch dann vorliegen, wenn der Verteidiger im Termin zwar möglicherweise keine Vertretungsvollmacht (§ 73 Abs. 3 OWiG) vorgelegt hätte, er aber - wie hier mit der Zulassungsrechtsbeschwerde detailliert vorgetragen - kraft der ihm als Verteidiger zustehenden Befugnisse dem Tatvorwurf rechtlich erhebliche Einwendungen entgegengesetzt hätte, die dem Tatgericht noch nicht zur Kenntnis gebracht worden waren und im Urteil demgemäß nicht berücksichtigt worden sind.

 

Normenkette

GG Art. 103; OWiG § 73 Abs. 2-3, § 74 Abs. 1, § 80 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Brühl (Entscheidung vom 15.10.2010; Aktenzeichen 82 Ss-OWi 30/11)

 

Tenor

  • I.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

  • II.

    Auf die Rechtsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Brühl zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, zu dessen Begründung diese Folgendes ausgeführt hat:

"I.

Der Landrat des (...)-Kreises hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 13.04.2010 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb von geschlossenen Ortschaften um 38 km/h, begangen am 17.02.2010, gemäß §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO; § 24 StVG; 11.3.6 BKat eine Geldbuße in Höhe von 120,00 EUR verhängt.

Gegen diesen, dem Betroffenen am 16.04.2010 zugestellten Bescheid, hat er mit Schreiben vom 30.04.2010, eingegangen bei der Verwaltungsbehörde als Telefax am selben Tag, Einspruch eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 28.04.2010 hat sich Rechtsanwältin A, Ehefrau des Betroffenen, als Verteidigerin bestellt.

Das Amtsgericht hatte zunächst Termin zur Hauptverhandlung auf den 17.09.2010 bestimmt und den Betroffenen persönlich mit Zustellungsurkunde geladen. Ferner hatte es als Verteidigerin eine Person namens "B" gegen Empfangsbescheinigung (EB) geladen, wobei es sich um eine Angestellte von Rechtsanwältin A handelt. Das EB war nicht zur Akte gelangt.

Auf entsprechenden Telefaxantrag des Betroffenen vom 30.07.2010 hatte das Amtsgericht diesen mit Beschluss vom gleichen Tag vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden.

Da Zeugen am Erscheinen zum Hauptverhandlungstermin verhindert waren, hat das Amtsgericht neuen Termin für den 15.10.2010 bestimmt und erneut als Verteidigerin die Person "B" gegen EB sowie den Betroffenen per Zustellungsurkunde geladen. Der Umladungsbeschluss ist dem Betroffen am 27.08.2010 per Postzustellungsurkunde zu Hause zugestellt worden (Bl. 14, 14 R), wo er durch seine Ehefrau entgegengenommen wurde. Das EB ist nicht zur Akte gelangt.

Auf den erneuten Telefaxantrag des Betroffenen vom 28.08.2010, ihn vom persönlichen Erscheinen zu entbinden, ist diesem durch das Gericht am 30.08.2010 mitgeteilt worden, er sei bereits entbunden worden. Unter Bezugnahme auf entsprechende Rechtsprechung hat der Betroffene am 08.09.2010 nochmals beantragt, ihn auch für den neuen Hauptverhandlungstermin vom persönlichen Erscheinen zu entbinden. Diesem ist das Gericht durch Beschluss vom 10.09.2010 nachgekommen. Die Zustellung des Beschlusses war an den Betroffenen selbst veranlasst sowie an die Person "B" als Verteidigerin per EB. Ein entsprechendes EB oder ein Zustellungsnachweis an den Betroffenen befindet sich nicht bei der Akte.

Zum Hauptverhandlungstermin am 15.10.2010 vor dem Amtsgericht erschienen weder der Betroffene noch die Verteidigerin. Nachdem das Gericht festgestellt hatte, dass der Betroffene vom persönlichen Erscheinen entbunden war, vernahm es die geladenen und anwesenden Zeugen PK C und PHK D. Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 OWiG machte es den Eichschein, das Messprotokoll und die polizeiliche Anzeige zum Gegenstand der Hauptverhandlung.

Das Amtsgericht Brühl hat gegen den Betroffenen sodann mit Urteil vom 15.10.2010 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, § 24 StVG, 11.3.6 BKat eine Geldbuße in Höhe von 120,00 EUR verhängt.

Gegen dieses Urteil, dem Betroffenen an seine Kanzleiadresse am 17.11.2010 per EB zugestellt, hat er mit Telefax seiner Verteidigerin vom 24.11.2010, beim Amtsgericht am selben Tag eingegangen, Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde und mit Schriftsatz vom 17.12.2010 einen Antrag auf Protokollberichtigung gestellt.

Mit weiterem anwaltlichem Schriftsatz vom 18.12.2010, eingegangen beim Amtsgericht am 20.12.2010, hat der Betroffene den Zulassungsantrag begründet und die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt. Mit Verfügung vom 18.01.2011 hat das Amtsgericht die beantragte Protokollberichtigung nachgeholt.

Das Urteil des Amtsgerichts vom 15.10.2010 ist dem Betroffenen erneut am 14.0...

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