Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung der Einspruchsfrist gegen Versäumnisurteil bei öffentlicher Zustellung: Zur Frist des Antrags auf und den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung den vorherigen Stand bei öffentlicher Zustellung

 

Leitsatz (amtlich)

Ohne Angabe eines konkreten Datums und Zeitpunkts der Kenntniserlangung kann die Rechtzeitigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht festgestellt werden. Von einer entsprechenden Darlegung und Glaubhaftmachung kann nur abgesehen werden, wenn die Frist nach Lage der Akten offensichtlich eingehalten worden ist.

Allein die öffentliche Zustellung stellt keinen Grund für eine Wiedereinsetzung dar. Es müssen weitere Umstände hinzukommen, die es dem Empfänger der Zustellung unmöglich gemacht haben, von ihr Kenntnis zu erlangen. Ein solcher Umstand kann vorliegen, wenn der Aufenthaltsort der Partei, an die die öffentliche Zustellung gerichtet worden ist, bei Vornahme der gebotenen Nachforschungen ohne Schwierigkeit hätte ermittelt werden können. Dies bedeutet nicht, dass die öffentliche Zustellung schon dann ausgeschlossen ist, wenn der Aufenthalt irgendwelchen dritten Personen bekannt ist.

 

Normenkette

ZPO §§ 339, 233-234, 185

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Urteil vom 27.10.2011; Aktenzeichen 2 O 96/11)

 

Tenor

I. Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 27.10.2011 zugestellte Urteil der 2. Zivilkammer des LG Bonn - 2 O 96/10 - gem. § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.

 

Gründe

I. Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Ebenso wenig ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO) oder aus anderen Gründen eine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).

Das LG hat zu Recht den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des LG Bonn vom 22.12.2010 als unzulässig verworfen.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Im Rahmen der Begründetheit spielt es keine Rolle, ob der Tatbestand, wie die Beklagte geltend macht, zutreffend wiedergegeben bzw. die Anträge richtig oder nicht richtig wiedergegeben sind. Derartige Einwendungen hätte die Beklagte mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag geltend machen müssen, § 320 Abs. 1 ZPO. Das ist nicht erfolgt. Insofern kann die Berufung aus diesen Gründen keinen Erfolg haben. Aber auch im Übrigen ist die Berufung erfolglos.

Der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 22.10.2010 (Bl. 118 GA) ist verfristet und mithin unzulässig. Das Versäumnisurteil ist im Wege der öffentlichen Zustellung zugestellt worden. Diese ist am 23.12.2010 beschlossen worden (Bl. 122 GA). Die Zustellung ist am 28.1.2011 erfolgt (Bl. 118, 126 GA). Mit Schriftsatz vom 10.6.2011, eingegangen am 16.6.2011 (Bl. 180 GA), hat die Beklagte - anwaltlich vertreten - Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Einspruchsfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Zustellung (vgl. Tenor des Versäumnisurteils vom 22.12.2010 gem. § 339 Abs. 2 ZPO) war damit verstrichen, vgl. § 339 Abs. 1 ZPO. Die Frist ist unabhängig von der Frage, ob die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung vorgelegen haben, in Gang gesetzt worden. Eine formal richtig ausgeführte öffentliche Zustellung ist als Staatshoheitsakt grundsätzlich wirksam und setzt die Frist in Gang, ohne dass es darauf ankommt, ob die Voraussetzungen des § 203 ZPO tatsächlich vorgelegen haben (OLG Köln Beschl. v. 11.4.1994 - 26 W 14/93, BeckRS 2004, 11668; OLG Köln Urt. v. 1.7.1992 - 2 U 6/92, NJW-RR 1993, 446; OLG Stuttgart Beschl. v. 8.11.2001 - 6 W 30/01, NJW-RR 2002, 716). Soweit dazu das OLG Zweibrücken (OLGReport 2001, 389) eine entgegenstehende Ansicht vertreten hat, ist dem nicht zu folgen. Insbesondere hindert eine etwaige Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht den Beginn der Frist, da selbst bei Verletzung des rechtlichen Gehörs gerichtliche Entscheidungen nicht unwirksam sind und in diesem Fall noch nicht einmal ein nach der Verfahrensordnung nicht statthaftes Rechtsmittel eröffnet ist (im Einzelnen mit weiteren Nachweisen OLG Stuttgart NJW-RR 2002, 716, 717).

Vorliegend sind die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist nach § 339 ZPO nicht gegeben, so dass auch der Antrag auf Wiedereinsetzung ohne Erfolg bleibt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist an sich statthaft, §§ 224 Abs. 2 S. 1, 233, 339 Abs. 1 ...

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