Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem überwiegend von Anliegern auf dem täglichen Arbeitsweg genutzten Gehweg innerhalb eines Wohngebietes einer Kleinstadt be-ginnt die Streupflicht der Gemeinde regelmäßig erst mit dem Einsetzen des Hauptberufsverkehrs.

2. Zur Darlegungslast des Geschädigten in einem solchen Fall.

 

Normenkette

GG Art. 34; BGB § 839 Abs. 1; LStrG RP § 17 Abs. 3 S. 1, § 48 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 23.03.2011; Aktenzeichen 4 O 185/10)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Mainz vom 23.3.2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 115 v.H. des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die beklagte Stadt wegen eines Glatteisunfalls auf dem Gehweg einer öffentlichen Straße auf Schmerzensgeld und weiteren Schadensersatz in Anspruch.

Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG hat mit Urteil vom 23.3.2011 (Bl. 88 ff. GA) die Klage abgewiesen; hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Die Klägerin rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung im angefochtenen Urteil. Mit Winterdienstmaßnahmen müsse morgens so rechtzeitig begonnen werden, dass glatte und streupflichtige Verkehrsflächen zu Beginn des Hauptverkehrs - mithin spätestens ab 6.45 Uhr - abgestreut sein müssten. Der hier gegenständliche, abschüssig verlaufende und im Bereich der Unfallstelle schlecht bis gar nicht ausgeleuchtete Gehweg werde vom gesamten Wohngebiet als Hauptverbindung zum Bahnhof genutzt; er werde zudem in der Reinigungsatzung der Beklagten als besonders gefährliche Fahrbahnstelle angesehen. Die von der Beklagten erstinstanzlich behauptete Straßenstreuung vermöge technisch bedingt eine ordnungsgemäße Bestreuung des Gehwegs nicht zu gewährleisten. Keine entscheidende Rolle komme der Tatsache zu, dass die Klägerin die Strecke selbst tagtäglich nutze; gerade die "besonders von Glatteis befallenen Stellen" habe sie, die Klägerin, nicht kennen müssen. Geboten sei eine Einzelfallbetrachtung jenseits verallgemeinernder Grundsätze.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des LG Mainz vom 23.3.2011 abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin

a) ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus aus einem Betrag i.H.v. 5.000 EUR seit dem 12.6.2009 und aus einem Betrag i.H.v. 2.500 EUR seit dem 5.11.2009;

b) 8.431,58 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus aus einem Betrag i.H.v. 3.104 EUR seit dem 12.6.2009, aus einem Betrag i.H.v. 2.112,43 seit dem 5.11.2009 und im Übrigen seit dem 29.7.2010;

c) ab Juli 2010 eine Haushaltsführungsschadensersatzrente i.H.v. 402,69 EUR monatlich, jeweils im Voraus zum 1.7., 1.10., 1.1. und 1.3. eines jeden Jahres, bis an das Lebensende der Klägerin;

d) außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.848,55 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.7.2010 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin jedweden zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 6.2.2009 zu ersetzen hat, soweit nicht ein Forderungsübergang auf Drittleistungsträger stattgefunden hat oder haben wird.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, das von der Berufung hinsichtlich des vermeintlich verkehrswidrigen Zustandes des Gehweges ersichtlich gar nicht angegriffen werde. Nach der Rechtsprechung seien öffentliche Straßen und Gehwege nur für den normalen Tagesverkehr zu sichern, wobei der den Tagesverkehr einleitende Hauptberufsverkehr im Allgemeinen erst in dem Zeitraum zwischen 7.00 Uhr und 8.00 Uhr anzusiedeln sei. In der Kleinstadt Nieder-Olm finde ein nenneswerter Fußgängerverkehr zum Bahnhof bereits vor 7.00 Uhr nicht statt; eine gesteigerte Sicherungspflicht der Beklagten bestehe schon deshalb nicht. Der Klägerin sei überdies - insofern unstreitig - die vorherrschende winterliche Witterung am Schadenstage bekannt gewesen; dem habe sie nicht hinreichend Rechnung getragen (Mitverschuldenseinwand).

II. Die - zulässige - Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die - verbandsangehörige - beklagte Stadt wegen schuldhafter Verletzung der Räum- und Streupflicht (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG; § 48 Abs. 2 LStrG) besteht bereits dem Grunde nach nicht.

1. Nach der ständigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung - auch derjenigen des Senats - richten sich Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht nach den Umständen des Einzelfalles. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ...

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