Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit der Grundsätze bei Ehegattenbürgschaft auch gegenüber Innungskrankenkasse

 

Normenkette

BGB §§ 138, 765

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Aktenzeichen 3 O 149/99)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 4.10.2000 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Koblenz abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 18.000 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Bürgschaft wegen nicht erbrachter Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch, die in dem Handwerksbetrieb ihres damaligen Ehemannes angefallen sind.

Die Beklagte verbürgte sich am 12.11.1997 der Klägerin ggü. für alle bestehenden und künftigen Beitragsverpflichtungen ihres Ehemannes W.G. bis zu einem Betrag von 77.000 DM. Auf den Inhalt der Bürgschaftsurkunde wird Bezug genommen (Bl. 4 ff. GA). Zur damaligen Zeit stand die Beklagte in einem Beschäftigungsverhältnis zu ihrem Ehemann mit einem Einkommen i.H.v. 3.084,08 DM netto.

Im Januar 1998 kam es zur Trennung der Eheleute sowie zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Beklagten zu ihrem Ehemann. Am 29.9.2000 wurde die Beklagte von ihrem Ehemann geschieden.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Beitragsrückstände beliefen sich derzeit auf 63.295,65 DM.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 63.295,65 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 29.9.1998 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das LG hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme der Klage mit der Begründung stattgegeben, der Bürgschaftsvertrag sei wirksam. Sittenwidrigkeit wegen krasser Überforderung der Beklagten durch die ihr auferlegten Verpflichtungen sei zu verneinen.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung vor, der Bürgschaftsvertrag sei aus mehreren Gründen unwirksam. So sei der Vertrag sittenwidrig gem. § 138 Abs. 1 BGB, da bei seinem Abschluss bekannt gewesen sei, dass die Beklagte zur Leistung nicht in der Lage sein werde. Die Klägerin habe zur Herbeiführung des Vertragsschlusses unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt und deren Geschäftsunerfahrenheit ausgenutzt. Mit der Ehescheidung sei die Geschäftsgrundlage für das Rechtsgeschäft entfallen. Mehrere Bestimmungen des Vertrages verstießen gegen das AGB-Gesetz.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt u.a. vor, die Bürgschaft verstoße nicht gegen die guten Sitten. Insb. habe sie bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages davon ausgehen müssen, dass die Beklagte leistungsfähig sei. Bei dem damaligen Einkommen der Beklagten sei dies auch objektiv zu bejahen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen bis zum 8.5.2001 (Bl. 148 GA) eingereichten Schriftsätze und Urkunden Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht kein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu. Denn die von der Beklagten am 12.11.1997 übernommene Bürgschaft hat ihre Wirksamkeit spätestens in dem Zeitpunkt durch Wegfall der Geschäftsgrundlage verloren, als die Ehe der Beklagten mit dem Hauptschuldner geschieden wurde (§ 242 BGB).

Es muss daher nicht entschieden werden, ob der Bürgschaftsvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten von Anfang an unwirksam war (§ 138 Abs. 1 BGB). Hierfür spricht allerdings die mangelnde Leistungsfähigkeit der Beklagten.

Gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist eine Bürgschaft insb. dann sittenwidrig, wenn der aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner handelnde Bürge finanziell krass überfordert wird und die Bürgschaft sich aus der Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers als wirtschaftlich sinnlos erweist (vgl. u.a. BGH v. 18.9.1997 – IX ZR 283/96, MDR 1997, 1103 = NJW 1997, 3372 [3373]). Davon ist hier auszugehen.

Die Beklagte war an dem Betrieb ihres Ehemanns wirtschaftlich nicht beteiligt, sondern lediglich Arbeitnehmerin. Sie wird durch die Bürgschaft krass überfordert. Da die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts aufgrund der bei Vertragsschluss vorliegenden Umstände und erkennbaren Entwicklungen zu beurteilen ist und für die Bürgschaft hier ein Höchstbetrag von 77.000 DM zzgl. Zinsen und Kosten vereinbart ist – die Wirksamkeit dieser Vereinbarung sei dahingestellt –, ist von einer Hauptschuld in dieser Höhe auszugehen. Der Umstand, dass die Klägerin im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Forderung von nur 63.295,65 DM vorträgt, ist für die Frage der Sittenwidrigkeit unerheblich.

Ein Bürge ist krass überfordert, wenn die Verbindlichkeit, für die er einstehen soll, so hoch ist, dass bereits bei Vertragsschluss nicht zu erwarten ist, er werde – wenn sich das Risiko verwirklicht – die Forderung des Gläubigers wenigstens zu einem wesentlichen Teil ...

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